Der Streik
machen. Er teilte mit ihr alle Sinnesfreuden, die ihm einfielen. „Ist es nicht großartig, dass unsere Körper uns so viel Vergnügen bereiten können?“, sagte er einmal ganz unbefangen zu ihr. Sie waren glücklich und unschuldig. Sie wären beide nie auf die Idee gekommen, dass Lust Sünde sei.
Sie verbargen ihr Geheimnis vor den anderen, nicht aus Scham oder Schuldgefühl, sondern als etwas, das ausschließlich ihnen gehörte, das niemand das Recht hatte, in Frage zu stellen oder zu beurteilen. Sie kannte die allgemein verbreitete Auffassung von Sexualität, die Auffassung, dass Sexualität eine schlimme Schwäche des niedrigen menschlichen Instinktes sei, die man nur widerwillig duldete. Sie empfand ein Gefühl der Keuschheit, das sie nicht vor dem Verlangen ihres Körpers, sondern vor jedem Kontakt mit jenen, die diese Auffassung vertraten, zurückschrecken ließ.
In diesem Winter besuchte Francisco sie in unvorhersehbaren Abständen in New York. Mal kam er zweimal die Woche ohne Ankündigung aus Cleveland zu ihr heruntergeflogen, mal verschwand er für zwei Monate. Sie saß in ihrem Zimmer auf dem Fußboden, umringt von Tabellen und Blaupausen, hörte ein Klopfen an der Tür und sagte bissig: „Ich hab zu tun“, hörte dann eine spöttische Stimme fragen: „Tatsächlich?“, und sprang auf die Füße, riss die Tür auf und sah ihn dort stehen. Sie gingen dann in eine Wohnung, die er in der Stadt gemietet hatte, eine kleine Wohnung in einer ruhigen Gegend. „Francisco?“, fragte sie ihn einmal in plötzlichem Erstaunen. „Ich bin deine Mätresse, oder?“ Er lachte. „Ja, das bist du.“ Sie war so stolz, wie man es von einer Frau erwartet, die sich als Ehefrau bezeichnen darf.
In den vielen Monaten seiner Abwesenheit fragte sie sich nie, ob er ihr treu sei oder nicht, sie wusste, dass er es war. Sie wusste, obwohl sie zu jung war, um den Grund zu kennen, dass wahlloses Verlangen und beliebige Hingabe nur denjenigen möglich waren, die Sexualität und sich selbst als schlecht betrachteten.
Sie wusste wenig über Franciscos Leben. Es war sein letztes Jahr auf dem College. Er sprach selten darüber, und sie stellte ihm auch keine Fragen. Sie ahnte, dass er zu hart arbeitete, weil sie von Zeit zu Zeit diesen unnatürlich strahlenden Ausdruck in seinem Gesicht sah, diesen Ausdruck der Heiterkeit, der entsteht, wenn man über die Grenzen seiner Kräfte geht. Einmal zog sie ihn auf, indem sie damit prahlte, dass sie eine alteingesessene Angestellte von Taggart Transcontinental sei, während er noch nicht einmal angefangen habe, sein eigenes Geld zu verdienen. Er sagte: „Mein Vater lässt mich nicht für D’Anconia Copper arbeiten, bevor ich meinen Abschluss habe.“ „Und seit wann tust du, was man dir sagt?“ „Ich muss seine Wünsche respektieren, er ist der Eigentümer von D’Anconia Copper. … Allerdings gehören ihm nicht alle Kupferunternehmen der Welt.“ In seinem Lächeln lag eine Spur von stiller Belustigung.
Sie erfuhr die ganze Geschichte erst im nächsten Herbst, als er das College abgeschlossen hatte und von einem Besuch bei seinem Vater in Buenos Aires nach New York zurückgekehrt war. Er erzählte ihr, dass er in den letzten vier Jahren zwei Ausbildungen absolviert habe: eine an der Patrick-Henry-Universität und die andere in einer Kupfergießerei in einem Außenbezirk von Cleveland. „Ich lerne die Dinge lieber selbst“, sagte er. Er hatte mit sechzehn als Heizgehilfe in der Gießerei angefangen, jetzt, mit zwanzig, gehörte sie ihm. Seine erste Eigentumsurkunde erwarb er unter Vertuschung seines Alters an demselben Tag, an dem er sein Universitätsdiplom erhielt, und er schickte beides an seinen Vater.
Er zeigte ihr ein Foto der Gießerei. Es war ein kleiner, rußgeschwärzter Betrieb, veraltet und von vielen Jahren des aussichtslosen Kampfes gezeichnet. Über dem Eingangstor hing wie eine neue Flagge auf einem Schiffswrack ein Schild: D’Anconia Copper.
Der Werbeleiter im Büro seines Vaters in New York hatte sich empört beklagt: „Aber Don Francisco, das können Sie doch nicht tun! Was wird die Öffentlichkeit denken? Dieser Name auf einem derartigen Schrotthaufen?“ „Es ist mein Name“, hatte ihm Francisco geantwortet.
Als er das Büro seines Vaters in Buenos Aires betrat – einen großen Raum, der seriös und modern wie ein Forschungslabor war und dessen einziger Wandschmuck aus Fotografien der Besitztümer von D’Anconia Copper bestand, Fotografien der
Weitere Kostenlose Bücher