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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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beobachtete, dass die Kellner, die ihnen das Essen servierten, bei diesem Hotelgast eine besondere Ehrerbietung an den Tag legten und dass Francisco das gar nicht bemerkte. Er fühlte sich auf diese Art ganz selbstverständlich wie zu Hause. Er hatte sich schon lange daran gewöhnt, dass er Señor d’Anconia von D’Anconia Copper war.
    Doch sie fand es seltsam, dass er nicht über seine Arbeit sprach. Sie hatte angenommen, dass sie sein einziges Interesse sei und das Erste, was er ihr erzählen würde. Er erwähnte sie gar nicht. Er ließ stattdessen sie erzählen, über ihre Arbeit, über ihr Vorankommen und darüber, was sie für Taggart Transcontinental empfand. Sie sprach darüber, wie sie mit ihm immer darüber gesprochen hatte, in dem Wissen, dass er der Einzige war, der ihre leidenschaftliche Hingabe verstehen konnte. Er erwiderte nichts, aber er hörte aufmerksam zu.
    Ein Kellner hatte als Hintergrundmusik das Radio angestellt; sie hatten nicht darauf geachtet. Doch plötzlich wurde der Raum von brausenden Klängen erschüttert, fast als hätte eine unterirdische Explosion das Gemäuer getroffen und es erzittern lassen. Sie erschraken, nicht wegen der Lautstärke, sondern wegen der Art der Musik. Es war Halleys neues Konzert, das vierte, das er erst kürzlich geschrieben hatte.
    Still lauschten sie diesem Aufschrei der Auflehnung – der Siegeshymne der großen Opfer, die Schmerzen nicht hinnahmen. Francisco hörte zu, während sein Blick über die Stadt schweifte.
    Ohne Übergang oder Vorwarnung fragte er mit einer seltsam eintönigen Stimme: „Dagny, was würdest du sagen, wenn ich dich bitten würde, Taggart Transcontinental zu verlassen und das Unternehmen zum Teufel gehen zu lassen, was es sicher tun würde, wenn dein Bruder die Leitung übernähme?“
    „Was ich sagen würde, wenn du mich bitten würdest, meinen Selbstmord in Betracht zu ziehen?“, antwortete sie ärgerlich.
    Er schwieg.
    „Warum hast du das gesagt?“, fuhr sie ihn an. „Ich hätte nicht gedacht, dass du darüber Witze machen könntest. Das passt nicht zu dir.“
    Seine Miene zeigte keine Spur der Belustigung. Er antwortete leise und ernst: „Nein, natürlich. Das sollte ich nicht tun.“
    Sie rang sich dazu durch, ihm Fragen über die Arbeit zu stellen. Er beantwortete sie, äußerte aber nichts von sich aus. Sie erzählte ihm, was die Industriebosse über die brillante Zukunft von D’Anconia Copper unter seiner Führung gesagt hatten. „Das stimmt“, sagte er teilnahmslos.
    In plötzlicher Sorge, ohne zu wissen, wie sie darauf kam, fragte sie ihn: „Warum bist du nach New York gekommen, Francisco?“
    Er antwortete langsam: „Um jemanden zu treffen, der mich gerufen hat.“
    „Geschäftlich?“
    Es sah an ihr vorbei, als antwortete er einem eigenen Gedanken. In seinem Gesicht lag ein kaum merkliches Lächeln bitterer Erheiterung, doch seine Stimme war seltsam weich und traurig, als er erwiderte: „Ja.“
    Es war lange nach Mitternacht, als sie im Bett an seiner Seite erwachte. Kein Geräusch kam von der Stadt unter ihnen. Es war so still im Raum, dass es schien, als hätte das Leben für einen Moment aufgehört. Entspannt, glücklich und völlig erschöpft drehte sie sich faul zu ihm um. Er lag auf dem Rücken, halb aufrecht auf ein Kissen gestützt. Sie sah sein Profil vor dem Hintergrund des nebligen Scheins der Nacht vor dem Fenster. Er war wach, seine Augen waren offen. Er hielt seinen Mund geschlossen wie jemand, der resigniert und in unerträglichem Schmerz daliegt, ihn erduldet und nicht versucht, ihn zu verbergen.
    Sie war reglos vor Furcht. Er fühlte ihren Blick und wandte sich zu ihr um. Plötzlich schauerte ihn, er warf die Decke zurück, betrachtete ihren nackten Körper. Dann ließ er sich nach vorne fallen und begrub sein Gesicht zwischen ihren Brüsten. Er umklammerte krampfhaft ihre Schultern. Sie konnte seine gedämpften Worte hören, sein Mund war an ihre Haut gepresst: „Ich kann es nicht aufgeben. Ich kann nicht!“
    „Was?“, flüsterte sie.
    „Dich.“
    „Warum solltest du …“
    „Und alles andere.“
    „Warum solltest du es aufgeben?“
    „Dagny, hilf mir zu bleiben. Abzulehnen. Obwohl er recht hat!“
    Ruhig fragte sie: „Was abzulehnen, Francisco?“
    Er antwortete nicht, drückte nur sein Gesicht fester an sie.
    Sie lag ganz still, spürte nichts, außer dass sie sehr behutsam sein musste. Sie lag da mit seinem Kopf auf ihrer Brust, streichelte sanft und gleichmäßig sein Haar und

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