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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayn Rand
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nicht glücklich genug, um es zu tun.“
    „Nicht glücklich genug?“, wiederholte sie vollkommen verwirrt.
    Er lachte. „Ist das als Antwort angebracht?“ Er wartete, doch sie schwieg. „Du willst es auch, nicht wahr?“
    Sie war kurz davor, nein zu sagen, erkannte aber, dass die Wahrheit schlimmer als das war. „Ja“, antwortete sie kalt, „aber es ist für mich nicht von Bedeutung, dass ich es will.“
    Er lächelte anerkennend, wohl wissend, wie viel Kraft es sie gekostet hatte, das auszusprechen.
    Doch er lächelte nicht, als sie die Tür öffnete, um zu gehen, und er sagte: „Du hast eine Menge Mut, Dagny. Eines Tages wirst du genug davon haben.“
    „Wovon? Vom Mut?“
    Doch er antwortete nicht.

VI. Das Nichtkommerzielle
    R earden presste seine Stirn gegen den Spiegel und versuchte, nicht zu denken.
    Dies war die einzige Möglichkeit, es durchzustehen, sagte er sich. Er konzentrierte sich auf die wohltuende Kühle des Spiegels und fragte sich, wie man den eigenen Geist auf Leerlauf stellen konnte, besonders wenn man ein Leben lang nach dem Grundsatz gelebt hatte, dass das konstante, klare und unbeirrbare Arbeiten des Verstandes oberste Pflicht war. Er fragte sich, warum zwar keine Bemühung je seine Kapazitäten überstiegen hatte, er aber jetzt nicht einmal die Kraft aufbringen konnte, ein paar schwarze Perlenknöpfe in die gestärkte weiße Hemdbrust zu stecken.
    Heute war sein Hochzeitstag, und er wusste seit drei Monaten, dass an diesem Abend die Gesellschaft stattfinden würde, wie Lillian es gewollt hatte. Er hatte es ihr in dem sicheren Glauben versprochen, dass bis dahin noch lange Zeit war und er sich darum kümmern würde, wenn es so weit war – so, wie er es mit allen Verpflichtungen in seinem überfüllten Terminkalender tat. Dann, während der letzten drei Monate voller Achtzehn-Stunden-Tage, hatte er es bereitwillig vergessen – bis vor einer halben Stunde, als seine Sekretärin spät abends, lange nach Essenszeit, in sein Büro trat und mit strenger Stimme sagte: „Ihre Gesellschaft, Mr. Rearden.“ „Gütiger Himmel!“, hatte er ausgerufen und war aufgesprungen. Er war nach Hause geeilt, die Treppen hochgelaufen, hatte sich die Kleider vom Leib gerissen und mit seiner üblichen Ankleideroutine begonnen, nur mit dem Gedanken daran, dass er sich beeilen musste, ohne an den Zweck zu denken. Als ihm mit einem Schlag bewusst wurde, worin dieser Zweck bestand, hielt er inne.
    „Du kümmerst dich um nichts als um deine Geschäfte.“ Das hatte er sein Leben lang gehört wie ein Verdammungsurteil. Er hatte stets gewusst, dass Geschäfte als eine Art geheimer, schändlicher Kult angesehen wurden, den man unschuldigen Laien nicht aufzwingen durfte; dass die Leute sie als eine hässliche Notwendigkeit betrachteten, die erledigt werden musste, aber nicht erwähnt werden durfte; dass über die Arbeit zu sprechen als eine Beleidigung des Feingefühls galt; dass von einem erwartet wurde, den Geist vom Unrat des Geschäftlichen reinzuwaschen, ehe man einen Salon betrat, so, wie man sich Motoröl von den Händen wusch, bevor man nach Hause kam. Er hatte diese Auffassung nie geteilt, es aber als natürlich angesehen, dass seine Familie es so hielt. Für ihn war es selbstverständlich – und er nahm es wortlos hin wie ein Gefühl, das man sich in der Kindheit zu eigen macht und später weder hinterfragt noch zur Sprache bringt –, dass er sich wie ein Märtyrer einer obskuren Religion dem Dienst an einem Glauben verschrieben hatte, der seine große Leidenschaft war, der ihn aber zu einem Ausgestoßenen unter den Menschen machte, deren Verständnis er nicht erwarten durfte.
    Er hatte die Auffassung akzeptiert, dass es seine Pflicht sei, seiner Frau in irgendeiner Weise ein Leben zu bieten, das mit Geschäften nichts zu tun hatte. Doch hatte er es nie vermocht, diesen Anspruch zu erfüllen, und fühlte sich deswegen noch nicht einmal schuldig. Er konnte weder sich selbst zwingen, sich zu ändern, noch es ihr übel nehmen, wenn sie beschloss, ihn deshalb zu verurteilen.
    Er hatte für Lillian monatelang keine Zeit gehabt – nein, dachte er, jahrelang, während aller acht Jahre ihrer Ehe. Er konnte kein Interesse für ihre Angelegenheiten aufbringen, nicht einmal genug, um herauszufinden, worin sie bestanden.
    Sie hatte einen großen Kreis von Freunden, und er hatte gehört, dass ihre Namen den kulturellen Kern des Landes bildeten, doch er hatte nie Zeit gehabt, sie zu treffen oder auch nur die

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