Der stumme Handlungsreisende
Polizeichef, die andere Leute ermorden.«
»Leute?«
Er mißverstand meine
Frage, obwohl ich den Plural betont hatte. »Genau. Marcia Merom ist
vor sechsunddreißig Stunden gestorben.«
»Ich habe niemanden
ermordet«, sagte ich.
»Wie nennst du es denn,
wenn jemand unbewaffnete Leute totschießt?«
»Unbewaffnete Leute,
die die Absicht hatten, mich zu töten. Ich nenne es
Selbstverteidigung.«
»Hm«, sagte er.
Ich wartete. »Ich nenne es auch Selbstverteidigung, aber Captain
Gartland war nicht besonders glücklich darüber.«
»Gartland ist nie glücklich,
aber das ändert nichts an den Tatsachen. Glücklicherweise gibt
es ein paar Details, die deine Aussage untermauern. Seilabdrücke an
deinen Hand- und Fußgelenken. Blaue Flecken dort, wo man dich
vielleicht geschlagen hat. Fensterglas in deinen Händen.«
»Und dazu noch
gebrochene Knochen.«
»Und gebrochene
Knochen. Die Tatsache, daß die Waffe Marcia Merom gehörte und
nicht dir.«
»Ich habe gar keine.
Vielleicht sollte ich.«
»Jeder auf der Welt hat
eine, außer dir.«
»Du hast es mir
ausgeredet.«
»Du weißt, daß
Seafield den Revolverlauf verbogen hat, als er mit dieser Weinflasche
daraufschlug?« fragte Miller. Er zeigte mir auf diese Weise, daß
er vieles von dem, was geschehen war, rekonstruiert hatte.
»Nein«, sagte
ich, »das wußte ich nicht.«
»Die Arzte sagen, er muß
den Revolver mit der Flasche getroffen haben. Die Vibrationen haben dir
dann die Finger gebrochen. Wenn er deine Hände getroffen hätte,
wären wir immer noch damit beschäftigt, die Einzelteile
aufzulesen. Und das alles, obwohl er drei Löcher im Leib hatte.«
»Drei!«
»Das ist die Zahl nach
zwei und vor vier.«
»Ich kann ihn unmöglich
dreimal getroffen haben. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich ihn
überhaupt ein einziges Mal getroffen hatte.«
»Du meinst, nachdem du
die Armlehne der Couch fertiggemacht hattest und das Bild an der Wand?«
»Kein Kommentar.«
»Ein Revolver hat sechs
Schuß, wie du weißt. Und es ist nur gut, daß du den
letzten nicht abgefeuert hast.«
»Warum?«
»Weil der Revolver mit
einem verbogenen Lauf nach hinten losgegangen wäre, darum. Die Kugel
wäre nicht rausgekommen. Und es ist ziemlich übel, wenn so etwas
passiert.«
Ich senkte den Kopf. »Ich
erinnere mich nicht sehr gut.«
»Gartland wird
vielleicht deine Lizenz einkassieren«, sagte Miller. »Aber was
irgendwelche Anklagen gegen dich betrifft, wirst du keine Probleme haben.«
»Du versuchst wohl,
mich aufzuheitern, wie?«
»Mach dir keine
Gedanken wegen des Polizisten draußen vor der Tür. Reine
Vorsichtsmaßnahme.«
»Was für ein
Polizist?«
»Hm«, sagte er,
»wir haben einen Mann da draußen, das ist alles. Gartlands
Anordnung.«
»Ist ja toll«,
sagte ich. Ich wurde langsam müde.
Miller sah, daß meine
Augenlider flackerten. »Du solltest auch wissen, daß wir diese
Briefe gefunden haben.«
»Welche Briefe?«
»Die Briefe vom FBI an
Rush, in deiner Jackentasche.« Als er davon sprach, fiel es mir
wieder ein. »Das FBI hier sagt, daß sie sie nicht für
echt halten, aber wir überprüfen das noch.«
»Und was ist mit Rush?«
»Er war den ganzen Tag
auf dem Revier und hat Fragen beantwortet.«
»Und Walker?«
»Der Bursche, der mit
Rush und Seafield zusammen war, als sie dich in Rushs Haus erwischt haben?
Wir suchen nach ihm.«
»Um Himmels willen, laß
ihn nicht davonkommen, Jerry.«
»Ist er wichtig?«
»Ganz genau. Er ist der
Verbindungsmann. Er wird garantiert untertauchen, wenn ihr ihm die Chance
gebt.«
Miller stand auf. »Ich
lasse dich jetzt schlafen.«
Ich schlief ein, wachte auf,
schlief ein, wachte auf. In der Hälfte meiner wachen Phasen dachte
ich an glücklichere Tage. Die andere Hälfte verbrachte ich damit
zu rekonstruieren, wie es mir möglich gewesen war, in einen solchen
Schlamassel zu geraten.
Am späten Nachmittag
begriff ich, daß Linn Pighee tot war. Tot. Linn Pighee, die in
meinem Bett geschlafen hatte, die von meiner verkrüppelten Tochter
umsorgt worden war.
»Schwester! Schwester!«
rief ich, rief lauter, klingelte.
Ein Kind in Weiß
erschien. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Sie kann nicht tot
sein«, sagte ich, »sie kann nicht tot sein.«
Das Kind blieb wie
angewurzelt stehen und wußte nicht, ob es irgend etwas tun sollte,
tun konnte. Mich trösten,
Weitere Kostenlose Bücher