Der stumme Handlungsreisende
leid«,
sagte ich, »du magst ja keine Hypothesen, also kann ich’s dir
auch nicht sagen.« Ich legte auf.
45
Zweieinhalb Stunden später
kam Miller in mein Zimmer. Bevor ich mit dem Mittagessen fertig war. Er
sah ausgesprochen glücklich aus. Ich konnte mich nicht erinnern, daß
er jemals so ausgesehen hatte, seit er zum Lieutenant befördert
worden war.
»Du siehst aus wie die
sprichwörtliche Katze. Eine Schokoladenkatze«, sagte ich.
»Hast du vielleicht gerade eine Schokoladenmaus gefangen?«
»Ich habe eine Dame da
draußen, die dich liebend gerne umbringen möchte«, sagte
er.
»Kein Wunder, daß
du so glücklich aussiehst. Jemand, den ich kenne?«
»Eine Dame namens
Dorothea Thomas. John Pighees Schwester.«
»Ah«, sagte ich.
Er gab mir ein in Leder
gebundenes Buch. »Ich kann dir ungefähr zwanzig Minuten Zeit
damit lassen, bevor ich die Dame zu ihrem neuen Heim bringe.«
Ich nickte. »Danke«,
sagte ich.
»Ich bin draußen.«
Er ging zur Tür. »Ach, übrigens, diese Briefe vom FBI
waren Fälschungen, und Henry Rush hat versucht, sich das Leben zu
nehmen. Sie haben ihn hierher gebracht; er liegt nur fünf Türen
von dir entfernt.«
Mit dieser Mitteilung
verschwand er.
*
Das Buch entpuppte sich als
Tagebuch von John Austin Pighee. Er hatte es an dem Tag begonnen, als
Henry Rush ihn für das Projekt Bagtag gewonnen hatte. »Ich
nehme an, daß das FBI schließlich irgendwo seine Arbeit tun muß«,
schrieb er. »Mir scheint, ich bin der glücklichste Mann auf der
Welt, daß es ausgerechnet dort passiert, wo ich arbeite. Und wenn
das vorbei ist, wenn sich die ganze Arbeit, die vor mir liegt, irgendwann
auszahlt, dann bin ich mir sicher, daß die Welt wissen will, was sie
Menschen wie Henry verdankt. Das ist der Grund, warum ich dieses Tagebuch
schreibe. Ich werde jeden Tag hineinschreiben. Ich werde es im Wohnwagen
meiner Schwester aufbewahren und dort jeden Tag Vorbeigehen, entweder vor
oder nach der Arbeit.«
Und er hatte sein Versprechen
gehalten. Die Begeisterung für seine Arbeit war deutlich zu spüren.
Die ganze Zeit war er felsenfest davon überzeugt, daß er für
das FBI arbeitete. Und er fühlte sich verpflichtet, bei jeder
Gelegenheit die Wichtigkeit seines Projekts anzupreisen, seine Mission,
wie er es sah. Der Mann war schließlich ein Verkäufer gewesen.
Und in seinem Tagebuch bereitete er stillschweigend das Produkt vor, das
der größte Abschluß seines Lebens werden sollte.
Es war klar, daß er die
Absicht hatte, aus dem Tagebuch den authentischen Tatsachenbericht eines
Geheimprojekts zu machen. Er glaubte, damit ein Vermögen verdienen zu
können.
Von Anfang an war es voll von
persönlichen Einzelheiten über die anderen Mitglieder der
Organisation. Ich hatte den Verdacht, daß seine Annäherungsversuche
an Marcia Merom vor allem den Zweck
verfolgten, pikante Einzelheiten zu sammeln, über die er dann
schreiben konnte. Und geschrieben hatte er darüber mehr als genug.
Er fand sie willig und
flexibel. Und meinte, daß sie ihm das Gefühl gebe, zu leben, daß
sie ihn errege. »Das ist mit Linn, meiner Frau, nicht so, war es
nicht mehr seit unserer Tragödie.« Der einzige Hlinweis auf
seine Frau, den ich fand.
Wobei die erwähnte Tragödie
der Verlust ihrer Kinder an ein Auto gewesen war.
Aber in der Woche, bevor er
starb, schrieb er: »Der Druck zur Geheimhaltung ist so stark, so
allumfassend, daß ich noch nicht einmal Marcia von diesem Tagebuch
erzählt habe. Soll ich es tun, frage ich mich? Ich weiß es
nicht. Es gibt Tiefen in ihr, die noch nicht einmal ich ausgelotet habe.
Bis dahin…
Aber ich mache mir Sorgen«,
fuhr er fort. »Wenn dieses Buch an einen Verlag kommt - wird man mir
Glauben schenken? Ich frage mich, ob ich nicht anfangen sollte, zusätzliche
Beweise zu sammeln, um - im Falle eines offiziellen Dementis - belegen zu
können, daß dies ein echtes Projekt ist und nicht einfach die
Ausgeburt meiner übersteigerten Phantasie. Gelegentliche Notizen,
einige Proben der Materialien, die wir benutzen. Solche Sachen.«
Ich rief Miller herein.
»Gefällt’s dir?« fragte er.
»Es hätte mir eine
Menge Ärger erspart, wenn ich gewußt hätte, daß es
existiert«, sagte ich. »Was hast du sonst noch im Schrank
gefunden?«
»Einige Proben von
einem illegalen weißen Pulver.
Und einen leeren Behälter
von irgendeinem
Weitere Kostenlose Bücher