Der stumme Handlungsreisende
persönlichen
Vorhölle geschmort, während der Mann weder lebendig noch tot
war.
Alles, was ich hatte, waren
oberflächliche Informationen und oberflächliche Eindrücke.
Aber ihr Schmerz ging mir unter die Haut.
Sieben Monate lang nicht aus
dem Haus gekommen. Mrs. Thomas würde ihr den Grund, warum sie ihren
Mann nicht besucht hatte, kaum zubilligen: daß sie es nämlich
nicht ertragen konnte, die Mauern zu verlassen, die wiederum ihr Gefängnis
darstellten.
*
Um Viertel nach zwei, nachdem
sie das Mittagschaos in einer Imbißstube verschlafen hatte, war es
ein Spatz, der Linn Pighee weckte. Er landete auf dem Sims vor dem offenen
Fenster und begann, von der Augusthitze verwirrt, zu zwitschern.
»Hm? Was?« Sie
weinte etwas, hörte dann wieder auf.
Ich holte ihr Kaffee, wofür
sie dankbar zu sein schien.
»Wenn Sie soweit sind«,
sagte ich, »dann fahre ich Sie nach Hause.«
»Ich bin okay«,
sagte sie. Sie machte sich daran aufzustehen und begriff plötzlich,
daß sie ihr Kleid nicht mehr anhatte. Ich zeigte auf die Spüle.
»Gibt es irgend etwas,
was ich mir ausleihen könnte? Zum Anziehen?«
Ich ging hinaus, um meine
Mutter zu fragen.
Mom fragte: »Ist sie
wieder wach? Was wirst du jetzt mit ihr anstellen?«
»Sie nach Hause
bringen.«
»Was ist sie, Albert?«
»Eine Klientin«,
sagte ich. Eine moralische, wenn auch keine zahlende. »Kannt du ihr
irgendwas zum Anziehen leihen?«
Wir einigten uns auf ein
langes Etwas, eine Art Hänger, und bevor ihre Entschlossenheit
schwand, half ich Linn Pighee in meinen Lieferwagen.
»Ich sehe aus wie ein
Sack Hundefutter«, sagte sie, als ich auf den Fahrersitz glitt.
»Fühlen Sie sich
besser?«
»Ich fühle mich
schrecklich. Ich… Sie…«
Ich ließ den Motor an.
»Bringen Sie mich nicht
nach Hause.«
»Was?«
»Ich kann nicht nach
Hause. Ich will nicht nach Hause. Ich kann es nicht. Nicht bei Tageslicht.
Nicht…« Und sie fing wieder an zu weinen.
Ich dachte darüber nach.
»Bitte!« Sie
kauerte sich auf dem Sitz zusammen und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
»Ich bringe Sie zu mir
nach Hause. Meine Tochter kann sich um Sie kümmern.«
Sie sagte nichts.
*
Ich parkte direkt vor meinem
Büro in der zweiten Reihe und half Linn Pighee ins Haus. Es war der
langsamste Aufstieg, der je unternommen wurde;
die frischen Kräfte, die sie aus dem Schlaf bei Mom geschöpft
hatte, waren mittlerweile völlig verbraucht. Der Aufenthalt draußen,
selbst in einem Auto, machte sie vollkommen fertig.
Ich sah zu, daß ich die
Tür aufbekam, und führte sie durchs Büro ins Wohnzimmer, wo
Sam am Schreibtisch saß und tippte.
»Auf, auf, Sam. Ich
habe eine Patientin für dich.«
Ich setzte Linn auf einen
Stuhl und ging dann wieder nach unten, um den Wagen wegzufahren.
Und fand einen Polizisten
vor, der mir gerade einen Strafzettel ausstellte.
»Das soll wohl ein Witz
sein«, sagte ich. »Ich helfe einer kranken Dame nach oben,
damit sie sich hinlegen kann, und es dauert zwei Minuten. Das kann nicht
Ihr Ernst sein.«
»Tut mir leid, Sir«,
sagte der Polizist. »Ich würde Ihnen ja gerne eine Chance
geben, aber sehen Sie, wenn ich an diese Stelle des Strafzettelformulars
komme« — er machte eine unklare Geste mit dem Stift - »dann
muß ich auch weitermachen und es ausfüllen. Tut mir leid wegen
Ihrer kranken Freundin. Hoffentlich macht sie es Ihnen wieder gut.«
Ich stand schweigend daneben,
während er sein Werk beendete. Er gab mir eine Kopie, stieg auf sein
Töff-Töff und fuhr los. Ich sah zu, wie er um eine Ecke bog.
Dann klemmte ich den Strafzettel unter den Scheibenwischer eines grauen
Pontiacs, der direkt vor meinem Büro parkte. Es war alles seine
Schuld, wirklich. Und vielleicht würde er den Strafzettel ja sogar
bezahlen, ohne ihn zu lesen.
Als ich wieder nach oben kam,
hatte Sam Linn Pighee ins Bett gebracht. In mein Bett.
»Entzückend«,
sagte ich. »Und wo soll ich schlafen? Bei dir?«
»Du bist nicht mein
Typ, Daddy. Bleibt sie über Nacht?«
»So weit im voraus
haben wir die Dinge nicht besprochen. Aber ich nehme an, darauf läuft
es hinaus.«
»Wer ist sie?«
»Linn Pighee. John
Pighees Frau.«
»Ooooooh«, sagte
Sam.
Ich erzählte ihr von
Linns Besuch bei Bud’s Dugout.
»Ich habe mich schon
gefragt, wo du so lange bleibst. Gerade habe ich gedacht, du wärest
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