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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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wohnte er ja mit seiner Mutter
     zusammen.
    Von innen kam keine Reaktion.
     Ich betrachtete das Schloß an der Tür.
    »Sie suchen Mr.
     Seafield, was?«
    »Wie bitte?« Die
     Stimme kam von hinten, von einem alten Mann mit einem fast rechtwinkligen
     Knick im Rücken, so daß er aussah wie ein wandelnder Galgen. Er
     konnte mir nur ins Gesicht sehen, wenn er seins seitlich verdrehte. Der
     Mann stand an der Ecke des Weges, auf dem ich hergekommen war, aber hinter
     ihm sah ich eine offene Tür am anderen Ende des Haupthauses.
    »Suchen Sie Mr.
     Seafield?«
    »Ja«, sagte ich.
     »Er scheint nicht zu Hause zu sein.« Ich brachte mein
     Notizbuch in eine gut sichtbare Position, damit ich ein wenig offizieller
     aussah.
    »Er ist bei der Arbeit«,
     sagte der Mann. »Ich weiß nicht genau, wann er zurück
     sein wird. Arbeitet zu den seltsamsten Stunden, wissen Sie? Manchmal ist
     er hier und manchmal nicht. Manchmal kommt er spät. Drei, vier, fünf
     Uhr morgens.« 
    »Und er weckt Sie, wenn
     er nach Hause kommt, was?«
    Der alte Mann lächelte
     und nickte. »Hab ’nen leichten Schlaf. Sagen Sie, hätten
     Sie vielleicht Lust auf eine Tasse Kaffee, Fremder? Ich bin grade dabei,
     welchen zu kochen.«
    »Ja, gerne«,
     sagte ich und folgte ihm durch die offene Tür in sein Zimmer im
     Erdgeschoß.
    Es stellte sich heraus, daß
     er nicht übertrieben hatte. Der Kaffee kochte wirklich.
    »Man kriegt automatisch
     einen leichten Schlaf, wenn man älter wird«, sagte mein
     Gastgeber. Ich schätzte ihn auf fünfundsiebzig. »Eine
     Art Ausgleich für den schweren Schlaf, der später kommt.«
    »Wie wahr«, sagte
     ich. »Mein Name ist Samson.«
    »Walker«, sagte
     er. »Thomas Jefferson Walker.«
    »Erfreut, Sie
     kennenzulernen, Mr. Walker. Kennen Sie Mr. Seafield gut?«
    »Nicht so, wie Sie
     meinen, nein. Aber ich kann nicht umhin, sein Kommen und Gehen zu
     beobachten. Ich mache die Reparaturen hier. Für meinen Sohn, dem das
     Haus gehört.«       
    »Aha«, sagte ich.
     »Ich versuche, ein wenig Hintergrundinformationen über Mr.
     Seafield zu bekommen.«
    »So, so, das tun Sie
     also? Für welche Seite arbeiten Sie?«
    »Welche Seite?«
    »Bundespolizei oder
     was?«
    Ich verstand nicht, worauf er
     hinauswollte, fuhr aber so fort, wie ich es geplant hatte. »Ich bin
     Privatermittler. Mr. Seafield hat sich an uns gewandt, und wir versuchen,
     uns ein vollständiges Bild zu machen. Lebensstil, diese Art Sachen.«
    »Verstehe«, sagte
     Walker. Aber mehr sagte er nicht.
    »So. Er hat die Wohnung
     gemietet. Nicht wahr?«
    »Das stimmt. Von meinem
     Sohn, Tommy junior. Großer Bursche.«
    »Ihr Sohn?«
    »Nee, Mr. Seafield.
     Richtig groß und dünn. Mein Junge bringt es nur auf
     einsachtzig, und das trotz meiner Größe. Ich bin einsneunzig,
     fast einsfünfundneunzig«, sagte er. »Das heißt…
     das war ich mal. Seafield ist noch ein paar Zentimeter größer
     als ich.«
    »Hat er viele Freunde?«
    »Freunde? Ich weiß
     nicht. Er scheint das Weibervolk anzuziehen, und im Abfall gibt es immer
     jede Menge Bierdosen.«
    »Lockerer Typ, der
     Bursche?«
    »Mich behandelt er
     jedenfalls wie Dreck«, sagte Thomas Jefferson Walker senior. »Wegen
     meines Alters und weil ich ja nur der Hausmeister bin.« Er wies mit
     der Hand auf den Rest des großen Hauses. »Er muß mich
     nicht behandeln, als wäre ich ein Mensch, also tut er es nicht. Nein,
     mir kommt er nicht wie ein lockerer Bursche vor. Zu auffällige
     Kleidung.«
    »Ein Schönling,
     wie?«
    »Zu meiner Zeit hat man
     aus solchen Stoffen Kleider für kleine Mädchen gemacht.«
     Eine Tatsache, die Lee Seafield in Walkers Augen um etliche Zentimeter
     schrumpfen ließ.
    »Was für einen
     Wagen fährt er?«
    »T-Bird. Schätze,
     der kommt von der Firma. Mein Junge hatte damals auch einen.«
    »Ihr Sohn hat bei
     Loftus gearbeitet?«
    »Genau.«
    »Aber er ist kein
     Wissenschaftler, oder?«
    »Nein, er war in der
     Verwaltung. Hatte große Pläne, als er vor fünfzehn Jahren
     da hinkam. Ist dann aber steckengeblieben, Sackgasse. Irgendwo in der
     Abteilung für Qualitätskontrolle.«
    »Das hört sich
     ziemlich wichtig an«, sagte ich.
    »Hört sich
     vielleicht so an, aber er sagt, es wäre in Wirklichkeit nichts
     anderes als eine beschönigte Tellerwäscherei gewesen. Hat seinen
     Ehrgeiz auf den Nullpunkt getrieben. Er also auf und davon. Steckt seine
     Energie jetzt in andere Sachen rein. Arbeitet jetzt viel für ein paar
     Leute in

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