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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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und jetzt das…«
    »Sie sagen, dieser
     Verwaltungsmann meinte, sie würden in der Klinik bereits erwartet?«
    »Er sagte, man habe sie
     informiert, und sie würden erwartet.«
    »Passiert das häufig?«
    »Mir nur einmal«,
     sagte er.
    »Sie erinnern sich
     nicht zufällig an den Namen des Verwaltungsbeamten?«
    »Hatte nicht die Zeit,
     ihn um ein Autogramm zu bitten«, sagte er. Dann fügte er ein
     wenig entschuldigend hinzu: »Ich habe nicht gefragt. Er sagte
     allerdings, er sei der Chef von irgend etwas.«
    »Erinnern Sie sich, wie
     er ausgesehen hat?«
    Nachdenkliche Miene. »Rundlicher,
     kleiner Bursche. Helle Wieselaugen. Sonst nichts.«
    Es mußte Jay Dundree
     gewesen sein. »Kennen Sie irgend jemanden von dem medizinischen
     Personal in der Versuchsstation ? «
    »Wir haben keinen
     Kontakt zu denen«, sagte er. »Obwohl ich weiß, daß
     die Abteilung von einer Frau namens Merom geleitet wird. Sonst weiß
     ich allerdings nichts über sie. Und ich weiß nicht, ob es noch
     irgendwelche anderen Leute da gibt. Wahrscheinlich ein paar auf Teilzeit.
     Hängt davon ab, was sie sich da zusammenbrauen.«
    »Welche Chancen geben
     Sie dem Mann, zu überleben und aus dem Koma aufzuwachen?«
    »Jetzt passen Sie mal
     auf«, sagte er zu mir, »soweit ich das als Arzt beurteilen
     kann, war dieser Mann im Januar tot, und es gibt nicht viele, die das
     überleben.«

 
    31
    Von einer Telefonzelle aus
     rief ich bei Dr. Merom zu Hause an, aber es ging niemand an den Apparat.
     Dann rief ich in der Loftus-Klinik an, und nachdem ich zwei Minuten
     gewartet hatte, erklärte man mir, Dr. Merom sei nicht da. Ich hätte
     noch Miller angerufen, aber ich hatte kein Kleingeld mehr.
    Auf dem Weg zu Loftus wurde
     mir klar, daß ich meine zehn Cent für einen Anruf bei Miller hätte
     benutzen können, wenn ich vorher darüber nachgedacht hätte,
     denn Freitag war nach Fincastles Liste Dr. Meroms Abend im Labor. Aber
     andererseits hätte ich auch nicht gewußt, ob ich Miller zu
     Hause oder auf dem Revier hätte anrufen sollen. Wahrscheinlich hätte
     ich meine zehn Cent ohnehin verloren.
    Im Sicherheitsgebäude
     war wieder Fincastle im Dienst. Ich erzählte ihm, daß Dr. Merom
     mich in Forschung Drei erwarte. Er schob mir kommentarlos das Dienstbuch
     hin. Es war Viertel nach acht.       
    Mit schnellen Schritten ging
     ich auf das Gebäude zu. Es brannte nur noch ein Licht darin. Das
     Lagerraumlabor. Ich machte mir nicht die Mühe, mich in dem Dienstbuch
     neben der Tür von Forschung Drei ebenfalls einzutragen.
    Marcia Merom sang vor sich
     hin. Ich hörte sie, als ich oben an der Treppe angekommen war, und
     blieb einen Augenblick stehen, um zu lauschen. Sie hatte eine klare und ziemlich hübsche Stimme,
     und mit viel Gefühl, was mich auf den Gedanken brachte, daß sie
     oft sang. Nur die Worte vertrugen sich nicht mit der freudigen Überraschung,
     ein neues Talent entdeckt zu haben. Es war eins dieser Rock-Klagelieder
     aus den späten Fünfzigern, unerfüllte Liebe, die zu einem
     gewaltsamen, unvorhergesehenen Tod führt. »Curly Shirley, sure
     woke early on the day-ay she died.« Schlurfend ging ich den Flur
     hinunter auf die offene Tür zu. Marcia Merom hörte auf zu
     singen. Sie horchte. Und sagte: »Lee?« Sie klang kühl und
     geschäftsmäßig und erwartungsvoll. »Lee?«
    Ich trat in den Türrahmen.
     »Nein«, sagte ich, »nicht Lee.«
    Sie wirbelte zu mir herum,
     und ihre Hände zitterten. Sie ließ einen Füller fallen.
     »Mein Gott«, sagte sie. Dann faßte sie sich wieder.
     »Sie haben mir einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Tun Sie das
     nie wieder!« Es war eher eine Redewendung als eine passende Reaktion
     auf mein Erscheinen.
    »Tut mir leid«,
     sagte ich. Aber ich konzentrierte mich mehr auf das Labor. Der Raum war
     vom Fußboden bis zur Decke voll mit Maschinen. Es gab buchstäblich
     keine Arbeitsfläche mehr für irgendwelche zusätzlichen
     Dinge. Das erste, was mir ins Auge fiel, waren einige Meßgeräte
     mit Zifferblättern, ein Stapel Verpackungsmaterial in einem Ständer
     unter dem Fenster und ein offener Kasten mit kleinen Metallfläschchen,
     auf denen das dreiblättrige Kleeblatt zu sehen war, das Symbol für
     radioaktive Strahlung.
    Die Zifferblätter
     schienen verschiedene Meßbereiche anzuzeigen; zu dem
     Verpackungsmaterial gehörten kleine, zusammengefaltete
     Pappkartons und ein Stapel durchsichtiger Plastiktüten. In dem Karton
     für die

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