Der stumme Handlungsreisende
worden. Und es
war auf den ersten Blick klar, daß es Lee Seafield an nichts
Protzigem mangelte, was man für Geld kaufen konnte. Wenn ich nicht so
angespannt gewesen wäre, hätte ich eifersüchtig sein können.
Meine ersten Minuten in Seafields Wohnung verbrachte ich damit, langsam
durch das Zimmer zu schreiten und alles in mich aufzunehmen, worauf mein
Blick fiel.
Zuerst bemerkte ich die Bücher.
Eine Handbibliothek für Chemiker. Und Portugiesisch in dreißig
Tagen mit dazugehörigen Kassetten.
Dann sah ich die Bilder. Ein
Pappkarton voller Nacktfotos von Männern und Frauen, alle vermutlich
sehr entgegenkommend, alle vermutlich sehr erwachsen.
Vor allem ein Foto zog meine
Aufmerksamkeit auf sich.
Nicht nur, weil es sich in
Stil und Inhalt von den anderen unterschied, sondern weil es meine
Herzdame zeigte.
Das Foto, das ich bei meiner
eisernen Reserve aufbewahrt hatte.
Ausnahmsweise widerstand ich
meinem Drang, es einzustecken. Als Beweis war es nur in situ zu etwas nütze.
Und Beweise waren knapp. Der
Rest des Zimmers enthielt nur weniges, was von Interesse war oder als
Beweis hätte dienen können. Keine Waffen, keine geheimen
Drogenvorräte, keine Behälter mit radioaktiven Symbolen darauf.
»Hm«, sagte ich
zu Walker. »Ich kann nicht sagen, daß mir das irgendwie
weitergeholfen hätte. Tut mir leid, daß ich Ihnen solche Mühe
gemacht habe.«
Eine entfernte Stimme sagte:
»Lee?«
Die Stimme war schläfrig,
weiblich und kam von oben.
Vor lauter
Portugiesisch-Kassetten war mir entgangen, daß kein Bett im Zimmer
stand.
Noch einmal rief die Stimme:
»Lee? Bist du das?«
An der Wand neben der Tür,
durch die wir gekommen waren, befand sich eine Leiter, die zu einem
Hochbett hinaufführte. Ich ließ Walker unten stehen und
kletterte hinauf. Es war ein großer, spitz zulaufender Schlafraum
mit dem gewaltigen Bett in der Mitte unter einem Glasdach.
Ich sah Marcia Merom, die
sich auf dem Bett aalte. Und sie sah mich. Sie riß die Augen auf;
ihre Pupillen zogen sich auf Stecknadelgröße zusammen. Dann
setzte sie sich auf. »Fassen Sie mich nicht an!« sagte sie.
»Ich werde versuchen,
mich zu beherrschen«, sagte ich und setzte mich neben sie auf die
Bettkante. Sie schlängelte sich von mir weg, wobei sie die Bettdecke
fest umklammert hielt. Sie war überrascht und hatte Angst. Ideale
Bedingungen, um sie kooperativ zu stimmen.
»Ich dachte, Sie und
Lee wollten zum Polizeihauptquartier gehen und erzählen, wie ich Sie
gekidnappt habe«, sagte ich. »War das nicht so geplant?«
»Wir wollten heute
nachmittag gehen«, sagte sie.
»Wenn Sie dahin kommen«,
sagte ich zu ihr, »werden Sie eine Überraschung erleben.«
Sie wiederholte ihr
Repertoire an mißbilligenden Gesichtsausdrücken.
»Ich habe heute schon
mit der Polizei geredet«, sagte ich. »Und wie Sie sehen, bin
ich immer noch frei.« Tatsachen nebeneinandergestellt. »Ich
hoffe, Sie können dasselbe von sich sagen, nachdem Sie mit denen
geredet haben.«
Ich ließ ihr einen
Augenblick Zeit, um das zu verdauen. Daß ich von ihrer
Anschuldigung, sie entführt zu haben, wußte, bedeutete, daß
ich mit der Polizei geredet haben mußte. Sie konnte kaum auf die
Idee kommen, daß ich auf der Flucht vor ihr war. Ich konzentrierte
mich darauf, entspannt und voll himmlischer Zuversicht zu sein: Das fällt
mir leicht, wenn ich weiß, daß ich drauf und dran bin zu lügen.
»Sie und Ihr großer,
impulsiver Freund werden eine kleine Überraschung erleben, wenn Sie
heute beim Polizeihauptquartier auftauchen«, sagte ich noch einmal.
»Die Cops wissen, daß diese FBI-Geschichte ein einziger
Schwindel ist. Und sie sind überhaupt nicht erfreut darüber.«
»Wie meinen Sie das,
ein Schwindel?« Jetzt mit einem Anflug von Panik.
Unwillkürlich wurde ich
lauter. »Daß die ganze Geschichte faul ist. Lügen. Eine
Tarnung. Daß ihr Leute euch bereichert mit Hilfe der Geheimhaltung,
die verdeckte Regierungsoperationen umgibt. Daß Sie genausowenig für
das FBI arbeiten wie ich.«
»Das stimmt nicht!«
Ich sah weg, hinauf, und aus
dem gläsernen Dach hinaus. Mein Blick fiel auf die Blätter, die
an den Bäumen raschelten, aber ich konnte sie nicht hören. Dann
wandte ich mich wieder zu ihr um. »Können Sie beweisen, daß
Sie für das FBI arbeiten? Haben Sie irgendwelche Papiere oder
Ausweise bei sich?«
Sie schüttelte den
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