Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
Vom Netzwerk:
Kopf.
     Sie war beunruhigt. »Diese Leute haben mir Briefe gezeigt«,
     sagte sie.
    »Wer war das?«
    »Henry Rush und Tommy
     Walker, als sie mich in ein Büro brachten und mit mir über die
     ganze Sache sprachen.«
    »Wann war das?«
    »Ungefähr sechs
     Monate, nachdem ich bei Loftus angefangen hatte. Ich war es schon ziemlich
     leid.«
    »Was?«
    »Der Job war eine
     Sackgasse. Ich sah auf Jahre hinaus keine Möglichkeit für mich,
     vorwärtszukommen. Ich wußte, daß Lee ebenfalls festsaß,
     und das schon seit langer Zeit. Wir sind zu viele.«
    »Wir?«
    »Wissenschaftler. Eine
     ganze Generation junger Leute kam in den sechziger Jahren dazu,
     und sie hindern alle, die ein paar Jahre später geboren wurden, am
     Weiterkommen. Damals hatte die Jugend Hochkonjunktur in den Firmen, und
     alle, die zu spät jung waren, haben jetzt das Nachsehen.« Sie
     schien ehrlich verbittert zu sein. Ich verstand ihren Groll nicht ganz.
     Meine Generation war mit der Erwartung groß geworden, daß die
     Reise zum Erfolg ein langsames Boot war.
    »Was haben sie in
     diesem Büro zu Ihnen gesagt?«
    »Henry und Tommy Walker
     waren furchtbar ernst, haben mich Geheimhaltung schwören lassen. Und
     ich wußte überhaupt nicht, was eigentlich vorging.«
    »Und dann?«
    »Sie haben mich
     gefragt, wie ich zu meinem Land stehe, ob ich Patriotin sei, ob ich
     Geheimnisse für mich behalten könne, ob es Leute gebe, die mich
     kennen und sich für meinen Charakter verbürgen würden. Ich
     habe ihre Fragen beantwortet, und dann wollte ich wissen, worum es
     eigentlich ging.«
    »Eine vernünftige
     Frage.«
    »Woraufhin Henry sagte:
     ›Ich werde Ihnen etwas sehr Wichtiges erzählen. Ich werde mein
     Leben in Ihre Hände legen.‹ Und er gab mir einen Brief vom
     FBI, in dem von einer Antidrogen-Operation namens Bagtag die Rede war; es
     war alles unterschrieben und offiziell.«
    »Wer hat es
     unterschrieben?«
    »J. Edgar Hoover.
     Nachdem ich den Brief gelesen hatte, zeigte mir Tommy seine Ausweistasche
     mit Fotos und solchen Sachen. Er sagte: ›Ich bin als Agent für
     das FBI tätig.‹«
    »Und was haben Sie
     gesagt?«
    »Was konnte ich sagen?
     Ich wußte ja gar nicht, worum es eigentlich ging.«
    »Hielten Sie den Brief
     und die Ausweise für echt?«
    »Ich bin sicher, daß
     sie echt waren«, sagte sie mit Überzeugung. »Aber wer hat
     schon jemals solche Dinge zu Gesicht bekommen!«
    »Was passierte weiter?«
    »Sie wollten, daß
     ich für sie arbeite. Ich fühlte mich geschmeichelt und wichtig.
     Das hat die ganze Sache für mich verändert, die Arbeit bei
     Loftus. Und was wir tun, ist auch wirklich wichtig.«
    »Was genau tun Sie
     denn?«
    »Wir stellen Drogen
     her, hauptsächlich Heroin, und dann markieren wir sie mit
     radioaktiven Substanzen.«
    »Und wie geht es
     weiter?«
    »Tommy Walker nimmt
     das, was wir machen, an sich und liefert es an die Organisationen, mit
     denen wir zu tun haben. In Detroit, glaube ich. Es hat Jahre gedauert,
     aber heute geht der größte Teil der Drogen im Mittelwesten
     durch unsere Hände. Wenn wir eines Tages endlich alle Verteiler erfaßt
     haben, die wir kriegen können, dann -peng - zieht das FBI die
     Schlinge zu, und diese Leute befinden sich im Besitz leicht zu
     identifizierender Drogen. Auf diese Weise können sie das ganze
     Vertriebsnetz aufdecken.« 
    »Sie versorgen also den
     ganzen mittleren Westen mit Stoff?«
    »Tommy hat den Kontakt
     zu den Leuten. Er macht die wirklich gefährliche Arbeit.«
    »Und John Pighee?«
    »Nun ja«, sagte
     sie, »nun ja.« Sie rollte den Saum ihres Bettlakens zusammen.
    »Warum«, fragte
     ich, »hat Lee John Pighee getötet?«
    »Das war gar nicht sein
     Auftrag«, sagte sie.
    »Was war denn sein
     Auftrag?«
    »Er sollte nur einen
     Unfall arrangieren, damit wir ihn in die Klinik bekamen. Wir wollten ihn
     unter Beruhigungsmitteln halten.«
    »Unter
     Beruhigungsmitteln? Monatelang? Vielleicht jahrelang?«
    »Es war besser, als ihn
     zu töten.«
    »Aber warum?«
     fragte ich. Mein ewiger Refrain in dem ganzen Fall. »Er war doch
     einer der… Gruppe.«
    »Das war er«,
     sagte sie, wobei sie die Vergangenheit betonte. »Er hat die Regeln
     gebrochen.«
    »Welche Regeln?«
    »Ich möchte
     wirklich nicht…«
    »Hören Sie, Lady«,
     sagte ich bestimmt. »Es geht nicht mehr länger darum, was Sie möchten
     oder nicht möchten.«
    »John ist bei uns
     eingeschleust worden. Oder die Dealer haben ihn gekauft, nachdem er zu

Weitere Kostenlose Bücher