Der stumme Ruf der Nacht
Frisuren, die darauf warteten, an diesem Altar der Schönheit die höchsten Weihen zu empfangen. Allem Anschein nach eine Mutter und ihre beiden Töchter. Die Braut trug bereits einen hauchdünnen weißen Schleier sowie eine Bluse und Jeans, die sich aber in wenigen Stunden in ein Designerkleid verwandeln würden. Ihre Schwester, in deren Dutt eine pinkfarbene Rose steckte, war ungefähr vierzehn Jahre alt. Und den Notfall begriff Courtney sofort. Das Mädchen hatte nicht nur eine schreckliche Körperhaltung und deutliches Übergewicht, sondern auch ein Gesicht voller Akne.
»Mutter und Braut haben sich schon vor Monaten ihre Termine geben lassen, aber an die Schwester hat keiner auch nur einen Gedanken verschwendet«, flüsterte Jordan Courtney ins Ohr. »Das ist doch unmöglich, oder? Wir müssen der Armen helfen.«
Verdrießlich stand das Mädchen neben der fröhlich mit der Schwester plappernden Mutter und kaute an ihren Nägeln.
Auf ihre typisch texanische, magere Debütantinnenart sah die Braut sehr hübsch aus, während die Schwester im besten Fall ein graues Mäuschen war. Dass sie beide beinahe gleich groß und den gleichen dunklen Teint hatten, verstärkte nur den Unterschied zwischen ihnen. Courtney stellte sich vor, wie das Mädchen in der vollen Kirche neben ihrer Schwester stand und von allen Anwesenden begafft wurde. Sie seufzte.
»Das verstehst du doch, oder?«, fragte Jordan.
Im Geiste strich Courtney alle Pläne für den Abend. Das Klettern und das scharfe Date waren natürlich nur erfunden, aber sie hatte sich wirklich auf ein heißes Bad und einen gemütlichen Fernsehabend gefreut.
Sie wandte sich an Jordan. »Das ist aber wirklich das letzte Mal. Du weißt doch, dass ich Hochzeiten hasse.«
»Du bist ein Engel.«
Courtney warf den Rucksack auf den nächsten freien Stuhl. »Mein Make-up-Set ist auch zu Hause. Du musst mir deine Sachen leihen.«
»Kein Problem.« Jordan schenkte Courtney ihr strahlendstes Lächeln. »Es ist alles da, was du brauchst. Du bist bestimmt im Handumdrehen fertig.«
Will fand sich in einem hochglanzpolierten Schönheitssalon, der aussah, als hätte ihn König Midas persönlich eingerichtet. Im Eingangsbereich hing ein vergoldeter Kronleuchter, und auf einem Glastisch stand ein ebenfalls goldenes, altes Telefon. Die Frau am Empfang musterte ihn mit unverhohlener Neugier.
»Kann ich Ihnen helfen?« Sie trug eine tief ausgeschnittene weiße Bluse, die nur notdürftig einen Busen bedeckte, der mehr als sein halbes Jahresgehalt kosten dürfte.
»Ich würde gerne Courtney Glass sprechen.«
»Sie ist gerade bei einer Kundin. Haben Sie einen Termin?«
Er zeigt ihr seinen Dienstausweis. »Nö.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Oh! Dann kommen Sie doch mit«, bat sie ihn und stakste hinter der Rezeption hervor.
Sie führte Will an einem lila Sofa vorbei, das ihn an einen Pilz erinnerte und auf dem zahlreiche Modemagazine lagen. Überall im Raum lehnten große Spiegel mit funkelnden Goldrahmen gegen antike Säulen. Will bemerkte einen fruchtigen Duft, den er nicht genau zuordnen konnte, sowie den nicht zu verwechselnden Gestank von versengtem Haar.
Schließlich entdeckte er Courtney, die sich über einen Friseurstuhl beugte und mit einem Mädchen sprach. Das lauschte ihr offenbar mit größter Aufmerksamkeit. Courtney tupfte mit einem kleinen Pinsel in ein Döschen, das sie in der Hand hielt, strich über die Lippen des Mädchens und hielt ihr einen Handspiegel hin. Darauf verzog der Teenager das Gesicht zu einem
breiten Lächeln, bei dem eine Spange zum Vorschein kam.
»Courtney? Das ist jemand für dich.«
Courtney drehte sich um und erstarrte.
Er steckte beide Daumen durch die Gürtelschlaufen seiner Jeans. »Hast du eine Minute Zeit?«
Angesichts der Aussicht auf etwas neuen Klatsch blieb die Frau vom Empfang stehen.
»Danke, Jasmin.« Courtney richtete sich auf und bedachte sie mit einem falschen Lächeln. »Bist du so lieb und rufst diese Kundin für mich an? Sie gehört zur Bennett-Hochzeit.« Dann wandte sie sich an das Mädchen. »Und dir viel Spaß heute Abend. Du siehst gut aus.«
Das Mädchen murmelte ein verschämtes »Dankeschön« und ließ sich von Jasmin wegbringen.
Anschließend drehte ihm Courtney den Rücken zu. Sie fing an, Kosmetika in eine Art Angelkasten zu legen. »Mein Anwalt hat mir geraten, in seiner Abwesenheit nicht mit der Polizei zu sprechen.«
Sie trug ein schwarzes Stretch-T-Shirt, das ein wenig über ihrer Hüftjeans
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