Der stumme Ruf der Nacht
das Geld.
Sie nahm die Zeitung, die Fiona und Jack auf dem Küchentisch liegen gelassen hatten, und überflog die Titelseite auf der Suche nach einer Meldung über einen Professor. Nichts. Danach nahm sie sich die Lokalnachrichten vor.
Ein Foto ganz unten auf der Seite fiel ihr auf.
»Stipendium zu Ehren einer getöteten Radfahrerin.«
Courtney erschrak. Sie erkannte die Frau. Untersetzt. In den Dreißigern. Sie hatte einen Bob und helle, makellose Haut. Eve Caldwell stand in der Bildunterschrift. Der Name sagte Courtney nichts, aber sie wusste, dass sie sie schon gesehen hatte. Und sie wusste,
dass sie da mit David zusammen gewesen war. Wo war das nur? Wo waren sie gewesen? Courtney starrte auf das Foto und versuchte sich zu erinnern.
Im Randolph Hotel.
Das letzte Mal, als sie mit David dort gewesen war, hatte Eve Caldwell an der Bar gesessen und Courtney angestiert. Diese Frau hatte bei Courtney alle Alarmglocken schrillen und sie argwöhnen lassen, dass David noch eine andere hatte. Und so hatte sie seine Taschen und den BlackBerry durchsucht, um Beweise zu finden …
Courtney setzte sich und sah auf das Bild. Wer immer Eve Caldwell gewesen sein mochte, nun war sie tot. Genau wie David. Und irgendwer hatte es auch auf ihr Leben abgesehen.
Aber warum nur?
Über den Artikel gebeugt, sog sie alle Informationen auf. Eve Caldwell war zweiunddreißig gewesen. Und laut Bericht war sie bei einem Fahrradunfall umgekommen. Doch von diesem Unfall handelte der Artikel nicht, sondern von dem Stipendium, das ihr zu Ehren gestiftet worden war. Heute sollte ein Gedenkgottesdienst abgehalten werden.
Mit beiden Händen umschloss sie die Kaffeetasse und schaute aus dem Fenster. Eine getötete Radfahrerin. Ein ermordeter Anwalt. Ein toter Professor.
Eine tote Hairstylistin.
Sie wollte einfach nur weglaufen. Sie wollte ins Auto steigen und wegfahren. Aber wohin? Sie wusste es nicht. Und wenn sie es nicht wusste, würde es auch kein anderer wissen.
Aber sie hatte kein Auto. Und keine Ahnung von Verstecken.
Courtney vergrub den Kopf in den Händen und holte tief Luft. Sie hatte keinen Schimmer, was hier vorging. Sie wusste nur, dass es völlig verrückt war. Welche Verbindung bestand zwischen ihr und diesen Toten? Kein Wunder, dass Cernak sie für schuldig hielt. Irgendwie hatten diese Todesfälle ja alle mit ihr zu tun. Und es würde noch schlimmer werden, wenn sie die Sache mit Walter herausbekämen. Dass schon einmal gegen sie wegen Mord ermittelt worden war. Dann war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Haftbefehl gegen sie ausgestellt wurde.
Courtney stand auf. Sie konnte nicht ruhig sitzen bleiben und sich im Haus ihrer Schwester einsperren lassen. Sie musste etwas unternehmen. Herausbekommen, was vor sich ging. Ob sie es wollte oder nicht, zwischen ihr und diesen Todesfällen gab es einen Zusammenhang, und sie war nicht die Einzige, die eins und eins zusammenzählen konnte.
Sie blickte auf die Küchenuhr und traf eine Entscheidung. Sie würde Wills Rat befolgen und ihrem Instinkt folgen. Sie würde sich krankmelden.
Aber sie wollte sich auf gar keinen Fall unter dem Bett verkriechen.
»Was macht die denn hier?«
Nathan drehte sich um und sah, dass Hodges hinter ihm stand und auf den Videomonitor starrte. Darauf war Fiona zu sehen, die gerade mit jemand sprach.
»Cernak hat sie geholt«, antwortete Nathan und
drehte die Lautstärke etwas herunter. »Sie spricht mit einem Nachbarn von Pembry. Der gibt an, dass er beim Müllrausbringen gesehen hat, wie ein SUV beim Professor rückwärts in die Einfahrt fuhr. Vor zwei Tagen, zwischen sieben und acht.«
Hodges trat noch einen Schritt in das Zimmer. »Dafür wollte Cernak sie haben? Und was, wenn das was mit dem Alvin-Fall zu tun hat?«
Nathan zuckte die Achseln. »Er hat sie angerufen. Aber er bezweifelt ohnedies, dass die beiden Fälle miteinander zu tun haben. Zumindest bisher. Vielleicht ändert er seine Meinung ja, wenn er die erste Zeichnung sieht.« Nathan reichte Hodges das Porträt, das Fiona vor wenigen Minuten gezeichnet hatte.
»Der Mann, den Pembrys Nachbar beim Aussteigen aus dem SUV sah, war weiß, Mitte vierzig, nicht sehr groß und untersetzt.«
»Klingt wie die Beschreibung unseres Joggers im Zilker Park«, wunderte sich Hodges.
»Dasselbe hab ich mir auch gedacht. Und der Wagen stimmt ebenfalls überein.«
Cernak blieb vor der Tür des kleinen vollgestellten Raums stehen. Nach kurzem Blick auf den Monitor grummelte er: »Ist sie immer
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