Der Sturz - Erzählungen
angreift, hat von seinem, Anan ben Davids gelobtem Land Besitz ergriffen, vom Ort, wo Er, Jahwe, mit ihm, seinem unwürdigen Diener, gesprochen hat, wo er dessen Atem gespürt, dessen unermeßliches Antlitz geschaut hat. Der Kampf ist mörderisch, ohne Gnade; jeder verteidigt mit seiner Freiheit die Freiheit seines Gottes, einen Ort für den zu bestimmen, der an ihn glaubt. Und der Kampf ist um so schwerer für Anan ben David, als ihn unzählige Ratten überfallen, sich wütend, blutgierig in ihn verbeißen. Ermattet weichen die beiden Kämpfer voneinander, Anan ben David am Ende seiner Kraft, er weiß, einem neuen Angriff seines Gegners und der Ratten ist er nicht mehr gewachsen. Da schmie-gen sich allmählich, zögernd zuerst, die Ratten, die Anan ben 70
David doch angegriffen haben, diese fürchterlichen Bestien, an ihn und lecken seine Wunden; sie haben ihn im vererbten Instinkt unzähliger Generationen wiedererkannt, und wie sie ihn lecken, spürt er die unmittelbare Nähe Jahwes, seines Gottes, er beugt sich unwillkürlich vor, um im Ungewissen dämmerhaften Licht seinen Gegner zu erkennen, und sein Gegner beugt sich ihm entgegen, mühsam, den Kalksandstein zerbrechend, der ihn wie ein Panzer umgibt, doch schon zerbrochen, da vorhin sein Haß ihn aufbrach. Anan ben David starrt Abu Chanifa ins Gesicht und Abu Chanifa ins Gesicht Anan ben Davids: Jeder, uralt geworden durch die unzähligen Jahrhunderte, starrt sich selber an, ihre Gesichter sind sich gleich. Aber allmählich weicht in ihren fast blinden, steinernen Augen der Haß, sie starren sich an, wie sie auf ihren Gott gestarrt haben, auf Jahwe und Allah, und zum erstenmal formen ihre Lippen, die so lange geschwiegen haben, jahrtau-sendelang, das erste Wort, nicht einen Spruch des Korans, nicht ein Wort des Pentateuchs, nur das Wort: Du. Anan ben David erkennt Abu Chanifa, und Abu Chanifa erkennt Anan ben David. Jahwe ist Abu Chanifa und Allah Anan ben David gewesen, ihr Kampf um die Freiheit war eine Sinnlosigkeit.
Abu Chanifas versteinerter Mund formt sich zu einem Lächeln, Anan ben David streicht zögernd durch das weiße Haar seines Freundes, fast scheu, als betaste er ein Heiligtum. Abu Chanifa begreift gegenüber dem uralten kleinen Juden, der da vor ihm hockt, und Anan ben David erkennt gegenüber dem Araber, der vor ihm auf den Fliesen des Kerkers kauert, daß beider Eigentum, das Gefängnis des Abu Chanifa und der Kerker des Anan ben David, die Freiheit des einen und die Freiheit des anderen ist.
71
Smithy
1961-1961
Seine Schwierigkeiten begannen schon am Morgen, sie waren unerwartet und deprimierten um so mehr, als sich J.G. Smith –
diesen Namen hatte er nach vielen anderen schließlich angenommen –, wenn nicht arriviert, so doch gesichert gefühlt hatte; sein Einkommen erreichte eine Höhe, auf der sich gerade leben ließ, die Behörde tolerierte ihn, zwar nicht offiziell, aber mehr oder weniger; um so blödsinniger nun Leibnitz’ Schwanken. Natürlich war Leibnitz zu ersetzen, durch jeden Medizin-studenten mit einiger Übung im Sezieren; aber J.G. Smith hing nun einmal an Leibnitz, der Mensch verdiente weiß Gott anständig, und wenn Leibnitz auch die Erlaubnis bekommen hatte – eben diesen Morgen war sie ihm zugestellt worden –, wieder eine Arztpraxis zu eröffnen, so mußte er sich doch im klaren sein, daß ihm diese Erlaubnis nichts mehr nützte, nicht der früheren Verfehlungen wegen – Abtreibungen und ähnliches –, sondern weil Leibnitz nun bald vier Jahre bei J.G.
Smith gearbeitet hatte, eine zu lange Zeit, um sich noch zu-rückziehen zu können; angenehm, das Leibnitz unter die Nase reiben zu müssen, war es gerade nicht, aber schließlich hatte Leibnitz kapiert, auch daß er die Lohnerhöhung nicht erhielt, da war Smith unerbittlich, man droht nicht mit einer Kündi-gung, bei ihm nicht, eine Haltung, die Smith bei dem neuen Bullen natürlich nicht einnehmen konnte: der ging auf Pulver aus und erhielt das Pulver, gegen Naturgesetze ließ sich nichts ausrichten. »Sehn Sie mal, Smithy«, hatte der Neue gleich zu Beginn der Unterredung erklärt, wobei er in den Zähnen herumstocherte – sie standen an der Ecke Lexington/52. Straße, gegenüber baute die City Bank –, »sehn Sie mal, Smithy, gewiß, der alte Miller hatte vier Kinder, und ich bin ledig, aber ich habe nun eben einen höheren Begriff vom Leben«, und auf die vage Drohung Smithys, sich an den Hafeninspektor zu wenden, der ihn schließlich auch
Weitere Kostenlose Bücher