Der sueße Kuss der Luege
einiger Zeit wieder nach Deutschland zurückgekommen und hat ihren alten Job angetreten. Vor vier Tagen hat sie sich dort schriftlich krankgemeldet und seitdem hat niemand mehr etwas von ihr gehört. In ihrer Wohnung ist sie nicht, ihr Handy ist ausgestellt.«
»Nachbarn?«
»Fehlanzeige.« Hinze zuckt mit den Schultern.
»Verdammt«, bis jetzt habe ich Frau Rolfs noch nie fluchen gehört. »Sie hat dafür gesorgt, dass er entlassen wird, hat behauptet, er wäre ungefährlich.«
Ich starre von einem zum anderen. »Von wem sprechen Sie eigentlich?«
Rolfs schaut mich lange an, ehe sie mir antwortet. »Von Frau Dr. Becker, Gohlis’ Therapeutin in der forensischen Klinik. Ihr Gutachten war die Grundlage für seine Entlassung.«
Mir schießen zwei Gedanken durch den Kopf. Warum saß Jan alias Patrick überhaupt? Und wenn die Therapeutin so plötzlich verschwunden ist, hat sie vielleicht auch etwas mit Idas Entführung zu tun?
Ich frage die Rolfs, aber sie geht nicht weiter darauf ein, sondern holt sich ihren Kaffeebecher, den sie in einem Zug austrinkt. Dann kommt sie zu mir zurück.
»Hat Friese Ihnen erzählt, wo er geboren oder aufgewachsen ist oder auf welcher Schule er war?«, beginnt sie wieder.
Ich versuche, mich zu erinnern, und jetzt wird mir klar, dass er solchen Gespräche immer ausgewichen ist, wie an dem Tag auf dem Flohmarkt, als ich wissen wollte, ob er als Kind nicht mal Paninibildchen gesammelt hat. Damals fand ich es schmeichelhaft, dass er sich immer nur für mich interessiert hat.
Plötzlich habe ich eine Idee. »Vielleicht kennen sich die beiden ja vom Fußball. Er hat behauptet, der Name Diego wäre beim Fußball an ihm kleben geblieben.«
Frau Rolfs ringt sich ein Lächeln ab. »Das ist vom Ansatz schon ganz gut, aber es gibt in Deutschland über 27.000 Fußballvereine. Ohne einen Ort oder wenigstens eine Gegend ist das nahezu zwecklos.«
Hinze meldet sich zu Wort. Er starrt auf sein Blackberry. »Hör mal, ich bekomme gerade Nachricht vom Team. Wir sind immer noch an den Pflegefamilien dran, in denen Gohlis untergebracht war, nachdem seine Eltern einen tödlichen Unfall hatten.«
»Wurde sein Elternhaus durchsucht?«
Hinze nickt. »Ein Reihenhaus in der Parkstraße im Blumenviertel am Stadtrand von Frankfurt, längst im Besitz anderer Leute. Ohne Ergebnis. Viel wichtiger erscheint mir jedoch die Suche nach seinem Komplizen und da habe ich einen ganz konkreten Verdacht.«
Hinze wirft sich demonstrativ in Positur, fährt dann aber nach einem kühlen Blick der Rolfs gleich wieder ernüchtert fort. »Insgesamt gab es in den Pflegefamilien sieben Jungen, von denen wir noch vier suchen, aber mein Kandidat Nummer eins ist Johannes Bender.«
»Warum?«, fragt die Rolfs knapp.
Hinze sieht triumphierend zu uns hinüber. »Er passt vom Alter her auf diesen Diego Friese. Aber es kommt noch besser. Ich habe die Unterlagen von Jan Gohlis’ Verhandlung gegengecheckt, die zu seiner Verwahrung in der jugendpsychiatrischen Haft geführt hat. Er ist wegen extensiver Nothilfe angeklagt, die zum Tod seines Pflegevaters geführt hat. Und wem hat er die Nothilfe geleistet? Johannes Bender. Und wer hat in der Verhandlung so überzeugend zu seinen Gunsten ausgesagt, dass Gohlis trotz diverser anderer Delikte nicht in den Knast, sondern in die Jugendpsychiatrie gekommen ist? Johannes Bender.«
Simone Rolfs nickt und sieht sehr erleichtert aus. »Das ist der Mann, den wir suchen! Gute Arbeit, Manfred.«
Ein Lächeln huscht über Hinzes Gesicht, bevor er weiterredet. »Die Jungs versuchen gerade, an ein aktuelles Foto von ihm zu kommen, und mailen es uns dann rüber.«
Johannes. Johannes Bender. Der Name kommt mir so fremd vor wie der Mann selbst, der Mann, von dem ich geglaubt habe, er wäre meinem Herzen nahe gewesen wie keiner zuvor. Ich möchte am liebsten laut schreien. Das kann doch alles nicht wahr sein!
»Danke, Manfred«, sagt Rolfs. Sie fährt sich über die Stirn. »Jetzt wissen wir endlich seinen Namen, alles andere ist nur eine Frage der Zeit. Checkt alle bekannten Wohnorte von ihm ab, Freunde, Arbeitsstellen, das ganze Programm. Es kann nicht mehr lange dauern, schließlich haben wir sein Bild über alle Kanäle verbreitet. Wenn er Ida irgendwo versteckt hält, wird ihn früher oder später jemand erkennen. Schließlich muss er ja die Kleine versorgen. Einkaufen.« Trotz ihrer hoffnungsvollen Worte seufzt Frau Rolfs tief und nun erst fällt mir auf, wie erledigt sie aussieht. Ihre roten
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