Der sueße Kuss der Luege
beginnt, am ganzen Leib zu zittern, und wiegt sich mit verschränkten Armen vor und zurück.
Diego kniet sich vor sie hin und legt ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Sie zuckt wie geschlagen zusammen und er nimmt sofort die Hand wieder weg. »Es tut mir leid, wenn ich Sie jetzt bedrängen muss«, sagt er, »aber Jan Gohlis hat ein kleines Mädchen entführt. Haben Sie es vielleicht gesehen? Oder eine Ahnung, wo er es versteckt haben könnte?«
»Mädchen?« Sie schüttelte den Kopf. »Er hat mich entführt.« Sie sieht sich ängstlich um. »Weg! Ich will hier weg.«
»Wir bringen Sie nach Hause«, höre ich mich sagen, obwohl wir dafür eigentlich keine Zeit haben. Wir müssen Ida suchen.
Entsetzt starrt sie uns an. »Nein, auf keinen Fall, da findet er mich! Dort hat er mir vor zwei Jahren aufgelauert und jetzt wieder. Er weiß, wo ich bin. Er kennt jeden meiner Schritte. Er…« Ihre Stimme ist schrill vor Panik geworden.
Ich gehe zu ihr und greife nach ihrer Hand. »Sie brauchen keine Angst mehr vor ihm zu haben, Jan Gohlis ist tot.«
»Tot?« Sie wiederholt das Wort mehrmals, aber ich habe das Gefühl, ich dringe gar nicht so richtig zu ihr durch. Diego und ich tauschen einen Blick. Er erklärt ihr, dass er jetzt sein Messer rausholt, um ihre Fesseln durchzuschneiden, und als sie ihn daraufhin voller Angst anschaut, setze ich mich neben sie und murmele leise die Worte, die ich auch so gern zu Ida sagen würde. »Alles wird gut, es ist vorbei, alles, alles wird wieder gut. Jetzt kann nichts mehr passieren. Alles ist gut.« Mir steigen selbst die Tränen in die Augen, weil ich an Ida denke und mich frage, wo sie ist und wie es ihr geht. Aber ich blinzele sie sofort weg, um Dr. Becker nicht noch mehr durcheinanderzubringen.
Währenddessen schneidet Diego behutsam ihre Fesseln mit seinem Taschenmesser auf und versucht, ihr hochzuhelfen, aber sie ist zu schwach, deshalb nimmt er sie dann wieder auf seine Arme wie ein Kind und wir laufen alle zusammen zurück zum Auto, wo wir sie vorsichtig auf die Rückbank legen. Sie reagiert gar nicht mehr, ihr Blick ist plötzlich in sich gekehrt, sie steht offenbar völlig unter Schock.
»Wir müssen sie in ein Krankenhaus bringen«, flüstert Diego und ich nicke. Er hat recht, die Frau braucht dringend Hilfe.
Diego lenkt den Wagen aus dem Wald heraus und ich knie mich auf den Vordersitz und schaue zu Dr. Becker. Ich muss versuchen, die Frau irgendwie zu erreichen. Niemand außer Diego oder Dr. Becker haben Jan wirklich gut gekannt. Selbst wenn sie Ida nicht gesehen hat, ist sie doch die Einzige, die uns helfen kann, deswegen hat die Rolfs sie ja gestern auch suchen lassen.
»Jan Gohlis hat ein kleines Mädchen entführt«, sage ich noch einmal eindringlich. »Ida, sie ist erst drei Jahre alt und schon über einen Tag verschwunden.«
»Er hat mich nicht vergewaltigt«, murmelt Dr. Becker zusammenhanglos und starrt aus dem Fenster. »Er wollte, dass ich ihn liebe, er wollte mich heiraten, er wollte, dass ich in Ruhe darüber nachdenke. Nur zum Küssen hat er mich gezwungen.« Sie muss würgen und dann bleibt sie stumm.
»Sie haben es geschafft. Sie sind in Sicherheit. Das kleine Mädchen nicht. Helfen Sie uns, Ida zu finden. Bitte!« Diego legt alle Wärme in seine Stimme, die er hat.
»Das arme Mädchen…« Ihre Stimme bricht ab.
»Frau Dr. Becker!« Ich muss mich beherrschen, um sie nicht anzuschreien. »Es gab eine ältere Frau, die sich früher um Jan Gohlis gekümmert hat. Hat er von ihr erzählt? Oder hat er Ihnen gesagt, wo sie wohnt?«
»Das arme kleine Mädchen. Ida.« Frau Dr. Becker sieht einfach weiter aus dem Fenster. Ich könnte sie schütteln, aber ich weiß, dass das nichts bringt. Dann plötzlich schaut sie ruckartig nach vorn, ihr Blick plötzlich ganz klar. »Elsa Braun.«
»Elsa Braun?«
»Der Name der alten Frau hat mich immer an Eva Braun erinnert. Sie war eine Nachbarin von Jan Gohlis’ echter Familie.«
»Weißt du, wo Jan damals gewohnt hat?«, zische ich zu Diego hinüber, aber er schüttelt den Kopf.
»Kennen Sie die Adresse?«, frage ich nach hinten, aber die Frau auf dem Rücksitz ist wieder in ihre Lethargie versunken und gibt mir keine Antwort. Verdammt, was fangen wir jetzt mit der Information an?
Wir müssen die Polizei anrufen, das ist unsere einzige Chance. Selbst wenn wir festgenommen werden. Hauptsache, sie helfen Ida.
Ich zücke das Handy und denke an Hinzes Gesicht und da erinnere ich mich wieder. »Ich weiß, wo
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