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Der Täuscher

Der Täuscher

Titel: Der Täuscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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wie auf Kommando herum und sahen an der Empfangsdame vorbei. Das Interesse galt einem klein gewach
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    senen, jugendlich und fit wirkenden Mann, der die Lobby betrat und quer über die schwarz-weißen Teppiche direkt auf Sachs und Pulaski zusteuerte. Seine Haltung war kerzengerade, sein Schritt ausgreifend. Der rotblonde Mann nickte lächelnd und begrüßte nahezu alle Anwesenden kurz nacheinander mit Namen.
    Ein Präsidentschaftskandidat. So lautete Sachs' erster Eindruck.
    Aber er blieb nicht stehen, bis er die beiden Beamten erreichte. »Guten Morgen. Ich bin Andrew Sterling.«
    »Detective Sachs. Das ist Officer Pulaski.«
    Sterling war deutlich kleiner als Sachs, schien aber gut in Form zu sein und hatte breite Schultern. Kragen und Manschetten seines makellos weißen Hemdes waren gestärkt.
    Seine Arme wirkten muskulös; das Jackett war eng geschnitten. Kein Schmuck. Sein unbeschwertes Lächeln ließ Fältchen in den Winkeln seiner grünen Augen auftauchen.
    »Gehen wir in mein Büro.«
    Der Kopf einer so großen Firma.. und doch war er persönlich hergekommen, anstatt sie von einem Untergebenen in seinen Thronsaal geleiten zu lassen.
    Sterling ging beschwingt die breiten, stillen Flure entlang. Er grüßte jeden einzelnen Angestellten, manchmal verbunden mit Fragen zum vergangenen Wochenende. Die Leute hingen an seinem Antlitz, wenn er positive Rückmeldungen mit einem Lächeln quittierte und die Stirn runzelte, sobald von kranken Angehörigen oder abgesagten Sportveranstaltungen die Rede war. Es waren Dutzende von Mitarbeitern, und er hatte für jeden von ihnen ein persönliches Wort übrig.
    »Hallo, Tony«, sagte er zu einem Hausmeister, der zerkleinertes Papier aus einem Aktenvernichter in einen großen Plastiksack umfüllte. »Haben Sie das Spiel gesehen?«
    »Nein, Andrew, ich hab's verpasst. Hatte zu viel zu tun.«
    »Vielleicht sollten wir unsere Wochenenden auf drei Tage erweitern«, scherzte Sterling.
    »Gute Idee, Andrew.«
    Und sie gingen weiter den Korridor hinunter.
    Sachs dachte im Stillen, dass sie beim ganzen NYPD kaum so
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    viele Leute kannte, wie Sterling auf ihrer fünfminütigen Tour begrüßte.
    Das Dekor der Firma war minimalistisch: einige kleine, geschmackvolle Fotografien und Skizzen - keine davon in Farbe -an ansonsten fleckenlos weißen Wänden. Das Mobiliar, ebenfalls schwarz oder weiß, war schlicht - teures IKEA. Es sollte wohl irgendeine Art von Aussage damit verknüpft sein, aber Sachs fand es trostlos.
    Unterwegs ließ sie noch einmal Revue passieren, was sie am Vorabend in Erfahrung gebracht hatte, nachdem Pam zu Bett gegangen war. Die aus dem Internet zusammengesammelten biografischen Angaben zu Sterling fielen wenig ergiebig aus.
    Er war ein äußerst zurückgezogen lebender Mann - ein Howard Hughes, kein Bill Gates. Seine Jugend blieb ein Geheimnis. Sachs hatte keinerlei Hinweise auf seine Kindheit oder Eltern gefunden. In den wenigen, oberflächlichen Zeitungsartikeln tauchte er zumeist als Siebzehnjähriger auf, der seine ersten Jobs verrichtete, vornehm-lich im Verkauf, sowohl bei Haustürgeschäften als auch per Telemarketing, und mit immer größeren und teureren Produkten. Am Ende Computer. Für einen Jungen mit
    »einem Sieben-Achtel-Abschluss von der Abendschule«, so Sterling zu einem Journalisten, habe er einen recht erfolgreichen Verkäufer abgegeben. Dann war er ans College zurückgekehrt, um das letzte Achtel seines Bachelors abzuschließen und sogleich einen Master in Informatik und Nachrichtentechnik folgen zu lassen. Das alles klang wie eine typische Erfolgsgeschichte aus der Feder von Horatio Alger und enthielt nur Einzelheiten, die von Sterlings Weitblick und Status als Geschäftsmann zeugten.
    Dann, mit Mitte zwanzig, sei für ihn das »große Erwachen« gekommen, hatte er gesagt und dabei für Sachs wie ein kommunistischer Diktator in China geklungen. Sterling verkaufte eine Menge Computer, war aber trotzdem nicht zufrieden. Warum hatte er nicht noch mehr Erfolg? Er war nicht faul. Er war nicht dumm.
    Dann erkannte er das Problem: Er war ineffizient.
    Und so wie ihm erging es auch vielen anderen Verkäufern.
    Also eignete Sterling sich Programmierkenntnisse an und saß wochenlang täglich achtzehn Stunden in einem dunklen Zimmer,
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    um Software zu schreiben. Er machte all seine Habe zu Geld und gründete eine Firma, basierend auf einem Konzept, das entweder töricht oder brillant war: Sein wertvollster Aktivposten würde nicht seinem Unternehmen

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