Der Tag an dem die Sonne verschwand
aushalte. Dann gehe ich wieder in unser Wohnzimmer und sitze lethargisch auf der Couch oder, wie jetzt, am Tisch. Zum ersten Mal nach so vielen Wochen und Monaten habe ich Lust auf Fernsehen. Irgendeine Rate- oder Quizshow gucken, oder eine unterhaltsame Serie, und so die Zeit verstreichen lassen, das würde mir gefallen. Früher wirkten Antibiotika schon binnen Stunden bei mir. Im Moment jedoch spüre ich noch keinerlei Wirkung. Im Gegenteil, der Druck im Kopf und meine Gliederschmerzen werden sogar schlimmer. Finn kocht pausenlos Tee, den lassen wir dann etwas abkühlen, weil er heiß getrunken meinem Hals nicht guttut. Finn sagt, ich sei ein angenehmer Kranker. Ich würde wenig Arbeit machen und nicht herumjammern. Ich freue mich, dass er es so sieht. Ich hasse Fieber. Leider ist unter dem großen Medikamentenvorrat, den wir hier haben, kein fiebersenkendes Mittel. Aber vielleicht sollte ich das Fieber auch aushalten. Der Körper muss möglicherweise kräftig aufgeheizt werden, um irgendwelche Erreger abzutöten.
Finn hat nur eine einzige Sorte Antibiotika gefunden (die allerdings in großen Mengen). Das ist seltsam. Ich könnte schwören, damals in der Apotheke verschiedene Sorten eingepackt zu haben, aber offensichtlich war es nicht so. Finn hat alles durchsucht.
Mein Appetit ist gleich null. Finn meint, ich müsse etwas essen – und das stimmt natürlich. Ich zwinge mich zu kleinen Mahlzeiten. Vorhin habe ich mit Wodka gegurgelt.
Werde mich jetzt ein wenig auf die Couch legen und die Augen schließen.
47. EINTRAG
18. April. Das Antibiotikum schlägt nicht an. Fieber: 39,9 Grad. Kopf-, Hals-, Gliederschmerzen. Vielleicht hilft mir kein Antibiotikum. Was habe ich überhaupt? Womöglich ist es gar keine schwere Grippe! (Davon sind wir ja bis jetzt ausgegangen.)
Finn studiert meine Medizinbücher: Das große Gesundheitslexikon, Kursbuch Gesundheit und so weiter. Bisher ohne neue Erkenntnisse. Ich kann fast gar nicht mehr sprechen. Auch meine Brust schmerzt. Manchmal habe ich Angst, keine Luft mehr zu bekommen. Finn hat unter den Vorräten nach anderen Medikamenten gesucht, aber nichts Geeignetes gefunden, außer einer neuen Flüssigkeit zum Gurgeln. Sie ist grün, und ich habe den Eindruck, dass sie meine Beschwerden ein wenig lindert. Finn ist sehr besorgt. Das merke ich. Aber es wird schon werden, denke ich, jede Krankheit dauert halt ihre Zeit. Wenn das Fieber allerdings noch höher steigt, was dann? Oder wenn ich eine Lungenentzündung bekomme?
Die Nächte sind grauenhaft. Ich schlafe kaum, halluziniere und schwitze fürchterlich. Finn wäscht jeden Tag meine Schlafkleidung (Boxershort und Unterhemd). Er ist auch jetzt nachts bei mir, in meinem Bett, hat aber eine eigene Decke. Das ist besser so, sonst würde ich wohl noch mehr schwitzen. Meine Träume (oder Fieberfantasien) sind, wie in Kindertagen, qualvoll und bedrohlich. Immer, wenn ich aufwache oder wieder richtig zu Bewusstsein komme, bin ich in Angst. Dann ist es schön und tröstlich, dass Finn bei mir ist. Wenn ich nachts aufschrecke, wird er meistens auch wach. Sein Schlaf ist ebenfalls seit Tagen sehr unruhig. »Keine Angst«, sagt er dann, »alles ist gut« – und legt seine Hand auf meine Schulter oder meinen Kopf. In diesen Momenten kann ich mein Glück, trotz der Krankheit zurzeit, kaum fassen.
Welch ein Glück, dass er da ist!
Welch ein Glück, dass sich unsere Herzen so nah sind!
Und welch ein Glück, dass ich ihn vor Monaten in der Hölle dort draußen getroffen habe!
Nach Maries Tod war ich mir absolut sicher gewesen, niemals mehr so große Freude empfinden zu können. Die Schwermut wurde ja zu meinem ständigen Lebensbegleiter.
48. EINTRAG
19. April. Das Schreiben hier lenkt mich ein bisschen ab. Zum Lesen fehlt mir die Konzentration, das Sprechen tut so weh.
Es geht mir keinen Deut besser. Jetzt ist sogar noch ein Husten hinzugekommen. Habe bis heute Morgen das Antibiotikum geschluckt, aber jetzt höre ich auf damit. Es schlägt sowieso nicht an. Ich weiß nicht, was ich tun soll. 39,9 Grad Fieber. Finn hat vorhin für mich eine Hühnersuppe aus einem eingefrorenen Huhn gekocht. Danach gab es Erdbeeren aus der Dose und Vanilleeis. Ich habe kaum etwas angerührt. Fühle mich sehr schlapp und müde. Auf meiner Schädeldecke tut es weh. Ich glaube, es sind die Haarwurzeln. Wenn ich mit der Hand durch meine Haare fahre, schmerzt es. Auch das kenne ich aus Kindertagen. Meine Mutter meinte dann immer, das könne nicht sein,
Weitere Kostenlose Bücher