Der Tag, an dem du stirbst
Ensemble, dachte D.D., geeignet für Täter und Opfer gleichermaßen.
«Wie kommen Sie ausgerechnet auf den 21. Januar? Und warum glauben Sie, den Killer zu kennen?»
Die Antwort der jungen Frau war wirklich beeindruckend. Sie berichtete, dass ihre beste Freundin aus der Kindheit vor zwei Jahren am 21. getötet worden sei, ein Jahr später, exakt am gleichen Tag, auch die zweitbeste Freundin. Von den unzertrennlichen drei sei jetzt nur noch sie übrig geblieben. Charlie nannte die Namen von Detectives und verwies auf den Bericht eines inzwischen pensionierten FBI-Profilers namens Pierce Quincy, der die Tatumstände analysiert hatte.
«Mit welchem Ergebnis?», fragte D.D., die Feds noch nie über den Weg getraut hatte. Aber, nun ja … Sie machte sich Notizen. Einen der Ermittler, Detective Roan Griffith von der Rhode Island State Police, kannte sie aus Fortbildungskursen. Vielleicht würde sie demnächst bei ihm anklingeln.
«Es gab keinerlei Spuren», erklärte die junge Frau. «Die Türen waren nicht aufgebrochen, es kam allem Anschein nach nicht zu Kampfhandlungen. Deshalb glaubt Quincy, dass der Mörder überdurchschnittlich intelligent und methodisch vorgegangen ist. Wahrscheinlich jemand, der seine Opfer kannte oder zumindest keine Bedrohung für sie darstellte. Vermutlich kann er sich sehr gewandt ausdrücken. Er hat sich Zugang verschafft und es offenbar bis zum letzten Moment verstanden, die Reaktionen seiner Opfer zu kontrollieren.»
Charlie zitierte aus dem Bericht mit flacher Stimme. Sie hatte ihn anscheinend so oft gelesen, dass sich für sie die Worte nicht mehr auf Personen bezogen, die sie persönlich gekannt und geliebt hatte, sondern zu nüchternen Standardphrasen reihten. D.D. hatte schon häufiger mit Angehörigen aus anderen ungelösten Fällen gesprochen und kannte dieses sonderbare Phänomen. Aus trauernden Hinterbliebenen wurden nicht selten knallharte Anwälte. Manche wussten über kriminaltechnische Details am Ende besser Bescheid als die mit dem Fall betrauten Experten.
«Gab es Hinweise auf sexuelle Übergriffe?», fragte D.D.
«Nein.»
Seltsam. Die meisten Mörder neigten zu sexuellen Übergriffen, vor allem solche, die ihren Opfern heimlich auflauerten und schließlich einen Schritt weiter gingen. Nur in Fällen von Auftragsmorden oder Totschlag aus Habsucht war es meist anders.
«Hinweise auf Raub?», fragte sie jetzt.
«Nein.»
«Hat überhaupt nichts gefehlt? Kein besonderer Gegenstand, nichts, was für das Opfer von Bedeutung gewesen sein könnte?»
Charlie schüttelte den Kopf. «Schwer zu sagen», räumte sie ein. «Meine Freundinnen lebten allein. Das Inventar ihres Haushalts kannte sonst niemand. Wenn überhaupt, ist etwas mitgenommen worden, das man leicht übersieht.»
«Was ist mit ihrem Nachlass?», wollte D.D. wissen. «Hat jemand von ihrem Tod profitiert?»
«Nicht, dass ich wüsste. Ich glaube, Randi besaß nicht viel. Sie hatte sich kurz vorher scheiden lassen. Vermutlich ist alles, was sie zu vererben hatte, an ihre Eltern gegangen. Bei Jackie war’s nicht groß anders. Sie hatte zwar einen guten Posten bei Coca-Cola, aber reich ist was anderes. Ich nehme an, sie hatte einige Wertgegenstände in ihrem Haus, ein teures Auto und ein Sparkonto mit mehreren zehntausend Dollar drauf. Mehr als hunderttausend waren’s aber bestimmt nicht.»
«Haben Sie einen Teil davon bekommen?», fragte D.D. geradeheraus.
Die junge Frau schüttelte den Kopf.
«Lebensversicherung?»
«Nicht, dass ich wüsste. Aber …» Charlie stockte. «Es würde mich wundern, wenn Jackie nicht versichert war. Aber wenn sie so was hatte, wird es an ihre Eltern oder ihren Bruder übertragen worden sein.»
«Kein Ehepartner?»
«Sie hatte nicht einmal einen Freund», sagte Charlie.
«Lesbisch?»
«Ja.»
D.D. starrte sie an. «Hatten Sie ein Verhältnis mit ihr?»
«Wir waren eng befreundet», antwortete Charlie ruhig. «Auch Lesben haben Freundinnen, mit denen sie nicht gleich ins Bett wollen.»
«Ich muss solche Fragen stellen», erklärte D.D. «Gehört zu meinem Job.» Sie spitzte die Lippen und dachte nach. Zwei Mordfälle im Abstand von tausend Meilen. Die Opfer hatten in Beziehung zueinander gestanden und waren jeweils am 21. Januar getötet worden, unter ähnlichen Umständen und ohne dass der oder die Täter Spuren am Tatort zurückgelassen hätten. Eine verrückte Geschichte, dachte D.D. Aber interessant, faszinierend, wie sie sich eingestehen musste. Genau die Art von
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