Der Tag an dem ich erwachte
Sensationen, niemand scherte sich mehr um Greg Grantham. Aus den Augen, aus dem Sinn. Bis er auf eine höchst spektakuläre Weise starb. Er war gar nicht gestorben, korrigierte ich mich, sondern wurde bestialisch ermordet, und ich stand im Verdacht, es getan zu haben. Bevor ich mich traute, die aktuellsten Beiträge anzuklicken, trank ich den Rest der Weinflasche in einem Zug aus.
„Der berühmte Arzt, Psychologe und Schriftsteller Greg Grantham wurde gestern tot aufgefunden. Man fand seine Leiche auf einer Yacht, die er am Tag zuvor gemeinsam mit zwei weiteren Personen gemietet hatte. Anscheinend sollte es eine entspannte Feier unter Freunden werden. Die Frau, die sich am Bord befand, wurde bewusstlos neben Granthams Leiche aufgefunden und in ein Krankenhaus eingeliefert. Sie hat ein schweres Schädeltrauma erlitten und liegt nach wie vor im Koma, jegliche Indizien für ihre Schuld an diesem schrecklichen Verbrechen fehlen bis jetzt. Ihre Identität konnte noch nicht festgestellt werden. Der zweite Mann, der mit am Bord war, ist spurlos verschwunden, was die Vermutung aufwirft, dass er der Mörder sein könnte. Granthams Tod lässt unzählige Fragen offen, auf die man bis heute keine Antwort findet. Was hatte dieser Mann nur getan, dass er auf eine so bestialische Art und Weise sterben musste? Man hatte ihn unter starke Schlafmittel gesetzt, bevor man die grausame Tat verübte. Als er sich nicht mehr wehren konnte, hatte sein Mörder sein Gesicht mit einem scharfen Messer zerschnitten, ihm die Augen ausgestochen und wartete darauf, dass er wieder das Bewusstsein erlangte, um sicherzugehen, dass er alles, was mit ihm geschah, auch mitbekam. Danach schnitt er ihm seine Genitalien ab und steckte sie ihm in den Mund. Greg Grantham starb an einem massiven Blutverlust.“
Ich sog scharf die Luft ein, atmete wieder aus. Machte das Fenster auf und streckte meinen Kopf in die kühle Nachtluft hinaus. Es war Vollmond, er hing außergewöhnlich tief in dem pechschwarzen Himmel, wie ein großer goldener Knopf auf der Robe eines Richters und leuchtete mir direkt ins Gesicht. Anklagend. Vorwurfsvoll. „Ich bin es nicht gewesen!“, schrie ich den Mond an und knallte das Fenster zu. Ehe ich wusste, wie mir geschah, eilte ich in den Flur hinaus und durchsuchte die Innentaschen von Ryans Jacke, bis ich den Umschlag fand, den Mills ihm gegeben hatte. Wahrscheinlich hatte er nicht mehr daran gedacht, ihn zu entsorgen, bei dem ganzen Stress. Ich nahm den Umschlag so vorsichtig in die Hand, als enthielte er eine Bombe und trug ihn ins Arbeit szimmer. Ich hörte, wie Ryan leise schnarchte und erwog es kurz, mich einfach neben ihn zu legen, mich an seinen warmen, schlafenden Körper ganz dicht zu schmiegen und den Umschlag samt seinem gefährlichen Inhalt zu vergessen. Dennoch ging ich weiter und warf den Umschlag auf den Tisch, nahm einen weiteren Schluck Wasser und wiegte mich auf Ryans Massagesessel vor und zurück. „Nein, ich will dich nicht aufmachen!“, sagte ich zu dem Umschlag, während meine Finger bereits den dicken Stapel Bilder daraus befreiten, als hätten sie plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Sie zitterten so heftig, dass die Bilder ihnen entglitten und auf dem Boden landeten. Anstatt sie aufzuheben, setzte auch ich mich auf den Boden und sah sie mir endlich an. Was ich da sah, war unaussprechlich. Ich drückte mir den Mund mit meinen zitternden Händen zu und biss sogar hinein, um einen Schrei zu unterdrücken, danach lief ich schnurstracks ins Bad und schaffte es gerade noch bis zum Waschbecken, bevor ich mich übergab. Immer und immer wieder, es wollte gar nicht mehr aufhören. Mittlerweile war mein Magen vollkommen leer, doch ich würgte weiter. Es tat entsetzlich weh, doch meine Augen taten noch mehr weh, auch wenn es sich um einen imaginären Schmerz dabei handelte, war er unerträglich. Wie sollte ich diese Bilder je aus meinem Gedächtnis ausblenden? Welcher Teufel hatte mich geritten, als ich den Umschlag öffnete? Und wer, um alles in der Welt, war die Bestie, die zu einer solchen Tat fähig war? Es konnte sich dabei unmöglich um ein menschliches Wesen handeln, nein, es musste eine Art Dämon gewesen sein, eine Ausgeburt des Bösen. Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name, beschütze mich vor dem Bösen! Ich ging wieder in den Flur, klebte den Umschlag zu und steckte ihn in die Ryans Jackentasche zurück. Natürlich ist er felsenfest von meiner Unschuld überzeugt, dachte ich. Wie könnte er
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