Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
brachte ich doch vor Bewegung über ihre Worte nicht einen Ton hervor.
»Ha, mein Pierre, hört mit diesen Küssen auf!« rief sie, »oder ich komme mit meiner Rede nie zum Schluß … Ihr könnt Euch wohl denken, wie ich mich verwünschte, mitten in der Belagerungszeit von einem Tuchhändler zu träumen! Nicht, daß ich mir nicht einzubilden versuchte, es könnte unter Eurem Kleid auch wohl ein Prinz stecken. Verlorene Liebesmüh! Ich büßte für diese Lüge zur Beruhigung meines Gewissens. Ihr mögt Euch daher vorstellen, wie froh ich war, als der König uns an dem Tag besuchte, an welchem er Paris einnahm, und Ihr mit ihm kamt in Eurer wahren Gestalt. Nur daß ich schrecklich enttäuscht war, welche zärtlichen Blicke Ihr Madame de Nemours zuwandtet, und mir nicht einen einzigen!«
»Mein Lieb«, sagte ich, »Ihr wart sehr frostig gegen mich.«
»Wie sollte ich nicht! Ihr saht mich ja gar nicht an! Nur dann beim Gehen, da warft Ihr mir plötzlich einen Blick von einer Unverfrorenheit zu, daß ich baff war, und furchtbar zornig.«
»Madame, ich bin beschämt!«
»Sehr zu Unrecht«, sagte die kleine Herzogin und lachte so hell, daß es mich entzückte. »Ohne diesen Blick wäre ja nichts passiert, weil er mich auf einmal doch wieder in meine Träume versetzte und sie mir millionenmal näher rückte. Jedenfalls gelangte ich zu gewissen, Euch betreffenden Entscheidungen. Weil ich aber noch zögerte, sie ins Werk zu setzen, eröffnete ich mich Pater Guignard.«
»Was, meine Liebe!« fragte ich erschrocken, »Ihr habt zu Eurem Beichtvater von mir gesprochen?«
»Ohne Euren Namen zu nennen.«
»Und was hat er gesagt?«
»Ich sagte ihm, ich sei in einen wohlgeborenen Edelmann verliebt, der jedoch nicht hoch genug stehe, um mich heiraten zu können, obwohl er nicht vermählt sei.«
»Aber, meine Liebe, das bin ich!«
»Gewiß, Marquis! Doch sollte ich meinem Jesuiten etwa die blanke Wahrheit sagen? Dann wäre er mir ja gleich mit der Sünde des Ehebruchs gekommen. Gott behüte! Ich hatte schon Mühe genug, seinen Widerstand zu entwaffnen.«
»Weil er zuerst dagegen war?«
»Wie wild! Nicht einmal wiedersehen sollte ich Euch! Aber ich vergoß Bäche von Tränen. ›Mein Vater‹, sagte ich, ›Ihr bringt mich wirklich um mit Eurer Tyrannei! Ich schlafe nicht mehr. Ich esse kaum mehr. Wozu brauchtet Ihr mich vom Fasten zu dispensieren, wenn ich sowieso nichts anrühre! Ha, ein schöner Beichtiger seid Ihr! Laßt mich in allem verhungern!«
»Liebste«, fragte ich gleichfalls lachend, »das habt Ihr ihm gesagt?«
»Und ob!« rief sie lachend. »Das habe ich ihm voll vor den Bug gesetzt! Mitten ins Gesicht! Und er war sprachlos.«
»Und was hat er dann gesagt?«
»Er werde bei den guten Patres nachlesen, um zu sehen, ob es da eine
wahr scheinende
Meinung gebe, die mir helfen könnte.«
»Und fand er sie?«
»Wenn nicht, läge ich dann in Euren Armen?«
»Vielleicht trotzdem«, meinte ich.
»Oh, wie böse Ihr seid!« sagte sie, meine Hand drückend, »denkt Ihr, ich habe kein Gewissen?«
»Nein, mein Engel«, sagte ich. »Ihr habt alles: ein Gewissen und einen Liebhaber.«
»Ja, das ist wirklich wahr!« sagte sie mit so schöner und naiver Schlichtheit, daß ich Küsse und Liebkosungen diesmal nicht zurückhielt. Doch Schluß damit, Leser. Ich will dich weder langweilen noch neidisch machen mit unserem kindischen Glück, zumal du in meine kleine Herzogin jetzt bestimmt genauso verliebt bist wie ich. Und dabei ist sie hier ja nur Papier, Wort und Erinnerung. Aber könntest du den Glanz in ihren blauen Augen sehen – du würdest sie anbeten.
»Liebste«, sagte ich endlich, »Ihr habt mir noch nicht verraten,welcher
wahr scheinenden
Meinung ich es nun verdanke, zu sein, wo ich bin.«
»Ich weiß nicht mehr«, sagte die Herzogin, »wie der Name des guten Paters war, der sie vertritt. Jedenfalls meint er – hört gut zu! –, wenn man im nahen Umkreis der Sünde lebt und sich nicht ohne große Schwierigkeiten daraus lösen kann, darf man darin verbleiben, und der Beichtiger muß einen absolvieren.«
»Mein Engel«, sagte ich, »mir scheint, wir verbleiben beide im allernahesten Umkreis der Sünde.«
»Das scheint mir auch«, sagte die kleine Herzogin versonnen. »Aber was hilft es? Könnte ich mich denn ›ohne sehr große Schwierigkeiten‹ daraus lösen? Und muß mir, dem guten Pater zufolge, also nicht vergeben werden? Aber, mein Pierre«, rief sie plötzlich, »wie selbstsüchtig ich bin! Ich denke
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