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Der Tag der Ameisen

Der Tag der Ameisen

Titel: Der Tag der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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schießen, was unten vorbeigleitet.
    Nr. 103 683 hat einige Schwierigkeiten, alle diese akrobatischen Verrenkungen zu meistern, aber bald hat sie vergessen, daß sie in zweitausend Schritt Höhe dahinflitzt. Sie klammert sich an ihr Flugtier. Als es im Sturzflug über die Gräser rast, schafft es die Soldatin, zu schießen und eine Blume zu köpfen.
    Der Treffer muntert sie auf. Sie denkt, daß man mit siebenundsechzig dieser Kriegsmaschinen mindestens ein paar von diesen Gö… ein paar von diesen Fingern zermalmen kann!
    Steilflug, dann Sturzflug befiehlt sie ihrem Käfer.
    Die Soldatin fängt an, Geschmack an dem Geschwindigkeitsgefühl in ihren Antennen zu bekommen. Was für eine fliegende Streitmacht, und was für ein Fortschritt für die Ameisenzivilisation! Und sie gehört der ersten Generation an, die dieses Wunder erlebt: Auf einem Käfer fliegen!
    Die Geschwindigkeit berauscht sie. Ihr Sturz vorhin hat keine ernsten Folgen gehabt, und von nun an läßt alles sie glauben, daß sie auf diesem Luftschiff kaum ein Risiko läuft.
    Sie befiehlt Spiralen, Loopings, Sprünge … Nr. 103 683 kann von dem tollen Gefühl gar nicht genug bekommen. Alle ihre Johnston-Organe, die auf ihre Lage im Raum ansprechen, sind kurzgeschlossen. Sie weiß nicht mehr, wo oben und unten ist, vorne und hinten. Sie vergißt jedoch nicht, daß sie, sobald ein Baum vor ihr auftaucht, schnell einen Haken schlagen muß.
    Ganz versunken in ihr Spiel mit dem Luftschiff bemerkt sie gar nicht, daß der Himmel sich bedrohlich verdüstert. Es dauert eine Weile, bis sie bemerkt, daß ihr Streitroß nervös geworden ist. Es gehorcht den Richtungsangaben nicht mehr, nimmt keine Befehle zum Höhenflug mehr entgegen. Es verliert sogar unmerklich an Höhe.

46. LIED
    Gedächtnispheromon Nr. 85
    Thema: Evolutionslied
    Speichlerin: Königin Chli-pu-ni
     
    Ich bin die große Irreführerin.
    Ich bringe die Individuen von ihrem alltäglichen Weg ab, und das erfüllt sie mit Schrecken.
    Ich verkünde merkwürdige Wahrheiten und zukünftige Welten voller Widersprüche.
    Ich bin eine Perversion des Systems, doch das System muß pervertiert werden, um sich zu entwickeln.
    Keiner spricht so schüchtern, linkisch und unsicher wie ich.
    Keiner hat meine unendliche Schwäche.
    Keiner hat meine genetische Bescheidenheit.
    Denn die Gefühle ersetzen meine Intelligenz.
    Denn ich habe kein Wissen und keine Kenntnisse, die mich beschweren.
    Allein die Intuition in der Luft leitet meine Schritte.
    Und woher diese Intuition kommt, weiß ich nicht.
    Und will es nicht erfahren.

47. DIE IDEE
    Augusta Wells erinnerte sich.
    Jason Bragel hatte in die Hand gehustet, alle hatten einen Kreis um ihn gebildet und tranken um so mehr von seinen Worten, als sie längst nicht mehr die mindeste Idee hatten, wie sie dort wieder herauskommen sollten.
    Ohne Nahrung, ohne die geringste Möglichkeit, aus dieser unterirdischen Höhle zu gelangen, ohne Möglichkeit, mit der Oberwelt zu kommunizieren – wie sollten da siebzehn Menschen, darunter eine Hundertjährige und ein kleiner Junge, aufs Überleben hoffen? Jason Bragel hielt sich ganz gerade.
    »Fangen wir von vorn an. Wer hat uns hierher geführt?
    Edmond Wells. Er hat gewollt, daß wir in dieser Höhle leben und sein Werk fortführen. Er hatte geahnt, daß wir unter Umständen in eine bedrohliche Lage geraten würden, da bin ich mir sicher. Der Weg in den Keller stellte einen individuellen Initiationsritus dar. Und jetzt haben wir es mit einer schwierigen Probe bei unserem kollektiven Initiationsritus zu tun. Was jeder von uns allein geschafft hat, muß uns jetzt gemeinsam gelingen. Alle haben wir das Rätsel mit den vier Dreiecken gelöst, weil wir es geschafft haben, unsere Denkweise zu ändern. Wir haben in unserem Verstand eine Tür aufgemacht. Dort müssen wir weitermachen. Auch dazu hat Edmond uns einen Schlüssel in die Hand gegeben.
    Wir sehen ihn nicht, weil unsere Angst uns blind macht.«
    »Hör auf, den Geheimnisvollen zu mimen! Was für ein Schlüssel? Was für eine Lösung meinst du?« maulte ein Feuerwehrmann.
    Jason ließ sich nicht beirren: »Erinnert euch an das Rätsel mit den vier Dreiecken. Da wurde verlangt, daß wir unsere Denkweise ändern. ›Man muß anders denken‹, hat Edmond immer wieder gesagt. ›Man muß anders denken …‹«
    Ein Polizist rief: »Aber wir stecken doch hier fest wie die Ratten! Das ist eine Tatsache. Es gibt keine Art, anders darüber zu denken.«
    »Nein. Es gibt mehrere. Wir

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