Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
Ganoch verdrillte seine kleinen Zöpfe zwischen den Fingern. »Aber ich habe keinen Krieger gesehen, der herausragte. Ich würde gerne mit unserem ersten Schlag den Anführer erwischen.«
Die winzigen Gnome sahen ihren Hauptmann ratlos an und schüttelten den Kopf.
»Teilen wir uns auf«, entschied Ganoch schließlich. »Ich bleibe mit meiner Schar hier im Seitengang und kümmere mich um diese feine Familie …« Mit dem Kinn wies er auf die herausgeputzte Frau und ihre schlafenden Kinder. »Ihr verteilt euch in der Halle. Mindestens zwei Gnome neben jedem Krieger. Auf meinen Pfiff hin schlagt ihr zu und verschwindet wieder. Dann rücken die zweite bis fünfte Schar zum Eingang vor und kümmern sich um die Wachen. Die anderen töten weitere Goblins in der Halle. Das sollte sie in Panik versetzen. Treibt sie zusammen, aber passt auf, dass sie euch nicht in kleiner Gestalt erwischen und zertreten. Haltet Abstand, wenn sie aufwachen.«
Die Trupps nahmen ihre Befehle entgegen und verschwanden. Darnamur schickte einen Späher zum Vorhang. Dann trat er zu der Goblinfrau und zog das Kurzschwert. Seine Kameraden verteilten sich bei den Kindern.
Er hob zwei Finger an die Lippen und stieß einen schrillen Pfiff aus, unhörbar für alle großen Wesen, aber ein durchdringender Laut für die insektengroßen Gnome. Der Späher am Vorhang wiederholte das Signal für die Gnome in der großen Grotte. Ganoch nahm wieder seine natürliche Größe an.
Die Knochenklinge in seiner Hand wuchs mit. Wuchtig stieß er zu. Das Drachenbein fuhr in die Kehle der Goblinfrau. Er sah ihre schwarzen Augen im Dunkel glänzen, ein Zucken, ein gurgelndes Atmen. Aber Ganoch hatte die Klinge schon wieder erhoben und schlug ein zweites Mal zu. Knochen spritzten vom Halsschmuck der Goblinfrau weg. Ganochs Klinge schnitt bis zum Nacken durch und blieb in einem Wirbel stecken.
Die Frau zu seinen Füßen lag reglos da, dunkles Blut sprudelte wie eine frische Quelle unter dem halb abgetrennten Kopf hervor.
Ganochs Herz schlug schneller, seine Hand zitterte. Einen Augenblick stand er reglos da. Die Geräusche von seinen Gefährten waren gedämpft, dumpfe Schläge, ein Röcheln. Eines der Kinder brachte ein kurzes Wimmern hervor, das mit einem feuchten Reißen abbrach. Stille und der Geruch von Blut breiteten sich in der Kammer aus.
12. K APITEL:
D IE Z EIT DES H OHEN R ATES
Die Einheit der Vielen. Hier in diesem Rat sehe ich endlich und zum ersten Mal den Wahlspruch verwirklicht, unter dem die Finstervölker sich vor Jahrhunderten vereinigt haben. Ich hoffe, wir werden diese Worte mit Leben füllen.
Der Hohe Rat soll in Zukunft die Geschicke von Daugazburg lenken. Zehn Vertreter aus jedem Volk sitzen hier einträchtig beisammen, lösen schwierige Fragen in friedlichem Gespräch und treffen Entscheidungen in gleichberechtigter Abstimmung.
All das ist neu für uns, und es ist bisher ohne Beispiel in den Grauen Landen. Wir werden es erst lernen müssen. Der Umsturz hat Wunden geschlagen bei allen Völkern. Es liegt an uns, sie zu heilen. Jetzt, an diesem Ort und zu dieser Zeit, können wir alle dazu beitragen, dass es den Preis wert war.
D ARNAMUR , V ORSITZENDER DER G NOMENFRAKTION ,
R EDE ZUR K ONSTITUTION DES H OHEN R ATES
Der Hohe Rat von Daugazburg, die neue Regierung der Grauen Lande, versammelte sich zu seiner ersten Sitzung im alten Spiegelsaal der Fei. Darnamur hatte den Thron mitsamt dem Podest fortbringen lassen. Der spiegelnde Glasboden war mit weichen Teppichen ausgelegt. Das dämmrige Licht eines späten Nachmittags brach sich in trüben Kristallfenstern, die nicht länger von Blenden verstellt waren.
Aus der Zeit der Fei waren allein die blitzenden Leuchter an der Decke geblieben. Als neue Möblierung dienten einfache Bänke mit niedrigen Pulten, die in einem Kreis aufgestellt waren. Die Sitze waren jeweils getrennt für Gnome und Goblins, Nachtalben und Nachtmahre, Kobolde und Menschen. An der Seite des Kreises, die zum Fenster zeigte, stand ein Katheder. Das Licht von draußen sorgte dafür, dass jeder, der dorthin schaute, den Blick senken musste. Und hinter diesem Pult stand Darnamur.
Ein Nachtalb erhob sich in der Reihe, die seinem Volk vorbehalten war. Er streckte einen Arm aus und wies mit dem Finger zu der Bank der Menschen. »Ist es nicht übertrieben, gleich zehn Menschen zu dieser ersten gemeinsamen Versammlung unserer Völker zuzulassen?«
»Warum?«, fragte Darnamur liebenswürdig. »Bitte erklärt Euch genauer, Rat
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