Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
Arm hinaufkroch.
Grefan löste sich von seinen Freunden. Er sah Frafa an. »Bitte«, stammelte er. »Hilf mir. Nimm es weg. Ich … habe keine Einwände. Ich stimme für dich!«
Frafa hob abwehrend die Hände. »Ich kann das nicht«, stieß sie atemlos hervor. »Ich habe noch nie … zurückgetan. Ich weiß gar nicht, warum es immer weitergeht.«
»Tu es einfach!«, fuhr ein Alb sie an. Frafa hatte ihn öfter bei Bleidan gesehen, aber im Augenblick fiel ihr sein Name nicht ein. Alle Gesichter im Raum verschwammen. Frafas Gedanken wirbelten durcheinander. »Er stirbt!«, rief der Alb.
Frafa tat ein paar Schritte auf Grefan zu. Der streckte ihr flehend einen Arm entgegen und den winzigen Stumpf. Schon rieselten Ascheflocken von der Schulter aus seinem Gewand.
Frafa griff mit ihrer Essenz aus. Sie konnte Grefans fein verwobene Lebenskraft spüren. Noch nie hatte sie sich so in die Einzelheiten des ätherischen Gewebes vertieft, das einen Nachtalb leben ließ, in die Nähte, die das magische Sein an die Lebenskraft und an den Leib knüpften. Es war, als wären einige Knoten darin aufgegangen, und die frei werdenden Stränge rissen die nächsten Knoten mit. So fein waren die Fäden, dass Frafa sie nicht zu fassen bekam. Sie hätte auch nicht gewusst, wie sie sie wieder hätte verknüpfen sollen.
Sie wich zurück. Erschrocken sah sie, wie die Haut von Grefans Hals abblätterte. Grefan schrie, dann wimmerte er wieder. Inmitten seiner Gefährten brach er in die Knie. Das Gewicht der Haare riss ihm die tote Kopfhaut vom Schädel, und man sah den blanken Knochen. Dann zerfiel auch der, und die Haare am Boden lösten sich ebenso auf.
Von Grefan blieb nur ein Haufen Asche.
»Du verfluchte Hexe!«
Ein Alb trat auf sie zu und hob die Arme. Darnamur griff wieder nach der Glocke. Frafa spürte, wie die Essenz des Albs nach ihr tastete. Sie versuchte sich zu schützen, doch sie wusste nicht, wie man einen Zauber abwehrte.
Aber da ließ das Tasten schon nach, und der Alb taumelte zurück. Sein Gesicht war grau geworden. »Leuchmadans Gnade«, keuchte er. »Was hast du in deiner Essenz?«
Die übrigen Albenräte wichen zurück. Sie standen dicht beieinander wie Schafe beim Anblick eines Wolfs. Einer von ihnen wandte sich Darnamur zu. »Sie!«, stieß er hervor. »Sie ist die Albe, die für Euch Leuchmadans Kästchen hütet. Wisst Ihr eigentlich, was Ihr da tut? So viel Macht, so wenig Beherrschung! Sie ist derart durchtränkt von Leuchmadans Kraft, dass sie jederzeit selbst verbrennen könnte.«
Darnamur zuckte die Achseln. Wieder stellte er die Glocke hin. »Jemand muss sich um das Kästchen kümmern«, sagte er. Er ließ seinen Blick über den Rat schweifen. »Alle Pflanzungen würden endgültig verdorren, und wir würden in einer Wüste zugrunde gehen, wenn sich keiner findet, der regelmäßig Kraft aus diesem Behältnis in das Land entweichen lässt. Ich denke, es ist im Sinne des Rates, wenn diese Aufgabe einer Albe zufällt, die zu unerfahren ist, um die Macht für eigene Zwecke zu missbrauchen. Die andere Möglichkeit wäre, das Kästchen einem erfahrenen und ehrgeizigen Nachtalb zu überlassen – wie Bleidan, beispielsweise.«
Ein Gemurmel erhob sich unter den Ratsmitgliedern. Die Alben schauten einander grimmig an. Sie mieden Frafas Blick.
Frafa hob ihren Arm und schaute ihn an. Stand sie kurz davor zu verbrennen? Oder so zu vergehen wie Grefan? Ihr schauderte. Sie hatte nicht gewusst, dass das Kästchen ihre Essenz veränderte … Nein. Sie erinnerte sich. Sie hatte sehr wohl gespürt, dass etwas in ihr vorging, seitdem sie die Kraft des Kästchens nicht nur verteilt, sondern auch davon gekostet hatte. Sie musste aufhören damit.
»Also gut«, sagte Darnamur. »Ich schätze keine Gewalt im Rat. Aber Grefan hat als Erster die Hand erhoben, und ich denke, sein Beispiel hat zugleich den Haupteinwand entkräftet, der gegen die Kandidatur von Fräulein Frafa vorgebracht wurde.
Ich stelle also noch einmal den Antrag, dass die Nachtalbe Frafa, die offizielle Bewahrerin des Lebens der Grauen Lande und des Kästchens von Leuchmadan, auch einen Platz hier im Hohen Rat erhält. Oder will sonst noch jemand darauf verweisen, dass sie zu jung ist und zu schwach und dass es für jeden Alb eine Schande wäre, neben ihr auf einer Bank zu sitzen?«
Die Alben sahen einander an. Grimmig kniffen sie die Augenbrauen zusammen, blickten von der zusammengefallenen Robe inmitten eines Haufens Asche, die Grefan gewesen war, zu den
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