Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
allein sein wollte.
Frafa setzte sich mit überkreuzten Beinen vor den Tisch und meditierte ein wenig. Die Ruhe der geheimen Kammer machte ihr vieles leichter. Eine kleine Atempause, das Auge des Sturms.
Tage und Wochen hatten sie sich in Aldungans Turm verborgen gehalten. Darnamur hatte die Stadt verlassen. Die Bitaner rückten näher. Aldungan hatte abgewartet, bis die Lage verzweifelt war, die letzte Hoffnung erloschen. Erst kurz vor dem Zusammenbruch wollte er vor den Rat treten, damit seine Forderungen auch erfüllt wurden.
Die Zeit in Aldungans Turm war einsam gewesen, aber voller Anspannung. Und nun war sie hier, um eine weitere Forderung ihres Herrn zu erfüllen. Aber jetzt, zwischen diesen beiden Zeiten, blieb ihr ein Moment der Ruhe. Ein Moment, um nachzudenken.
Wollte sie diese Aufgabe erfüllen?
Es war Aldungan, ihr alter Meister. Frafa hatte inzwischen viele neue Meister kennengelernt. Und sie hatte gelernt, gegen ihre Meister auch eigene Entscheidungen zu treffen. Es war nicht selbstverständlich, dass sie zu Aldungan zurückkehrte. Sie hatte die Wahl.
Frafa dachte an die Vergangenheit und die Gegenwart. An die Schlachten und die Toten. An die Stadt und an das Land. An ihre Pflicht. Aldungan konnte mit Leichtigkeit tun, worin sie versagte.
Frafa erhob sich wieder. Sie strich Balgir über den Rückenkamm und verwandelte ihn in eine Tasche. Dann tat sie, was sie schon einmal mit der von Darnamur zur Verfügung gestellten Fälschung gemacht hatte: Sie stopfte Leuchmadans Kästchen in den Schlund ihres Taschentiers und verwandelte Balgir zurück in eine Echse. Die diesmal das echte Artefakt in ihrem Inneren verbarg.
Frafa verließ den Turm der Fei wieder. Witos Kanzlei war verlassen, die Ratssitzung musste begonnen haben. Frafa trat auf den Korridor hinaus, als käme sie von einer ihrer ganz alltäglichen Sitzungen im Turm, die sie nun, nach langer Unterbrechung, wiederaufgenommen hatte.
Die Spitzel draußen beäugten sie misstrauisch, misstrauischer als je zuvor. Aber es waren Nachtmahre und Kobolde, Menschen und Gnome und Vilas und Goblins. Sie hüteten den Turm mit Leuchmadans Kästchen eifersüchtig. Weil sie nichts mit dem Artefakt anfangen konnten, wollten sie verhindern, dass es den Alben in die Hände fiel. Doch eben weil sie den Alben misstrauten, war keiner unter ihnen, der das Geheimnis von Frafas Taschentier kannte.
Sie sahen nur eine einfache Echse auf ihrer Schulter, und lächelnd schritt Frafa an ihnen vorbei. Sie erwartete Aldungan am Ausgang der Zitadelle.
»Das Kästchen, Meister«, murmelte sie und hielt ihm Balgir hin. Misstrauisch behielt sie dabei die Umgebung im Auge.
Aldungan nahm das Taschentier entgegen. Balgir hing in der Luft, reglos und alle viere von sich gestreckt. Er zeigte nicht sein übliches Widerstreben, als Aldungan ihn verwandelte. Der Alb tastete nur einmal kurz in die Tasche hinein, dann nickte er befriedigt und gab sie Frafa zurück.
»Leuchmadans Kästchen«, stellte er fest.
Frafa hielt wieder Balgir in der Hand und zögerte, ihn zurückzuverwandeln.
»Ihr wolltet es haben«, sagte sie unsicher.
»Ich hatte es«, erwiderte Aldungan. »Nun bring es zurück.«
Frafa starrte ihn an.
Aldungan lachte leise. »Glaubst du etwa, ich müsste das Kästchen dauernd bei mir tragen, um seine Kraft zu nutzen? Eine Berührung reicht, und die Verbindung ist hergestellt. Leuchmadan hatte das Artefakt viele Tagesreisen entfernt unter der Sternenklippe verwahrt, als er die Grauen Lande verwüstete. Erst als die Bitaner es in Seide hüllten, verlor er die Herrschaft darüber. Du solltest es wieder in den Turm zurückbringen, bevor jemand Verdacht schöpft und bemerkt, dass es nicht mehr da ist. Nimm einen anderen Eingang, damit niemand sich wundert, wenn du so schnell zurückkehrst.«
»Werdet Ihr den Grauen Landen wieder Leben bringen?«, fragte Frafa.
»Aber ja, Frafa«, erwiderte Aldungan. »Zum richtigen Zeitpunkt. Es kommt immer auf den richtigen Zeitpunkt an.«
25. K APITEL:
D AS LETZTE A UFGEBOT
Gnome. Menschen. Völker von Daugazburg. Hier steht das letzte Aufgebot, um unsere Heimat zu verteidigen. Wir haben unsere Krieger verloren, und der Feind scheint übermächtig. Aber wir, die wir hier stehen und überlebt haben, haben weit Schlimmeres überstanden. Wir wurden in einem Feuer gehärtet, das unsere Feinde sich nicht einmal vorstellen können. Wir werden in ihre Reihen fahren wie eine geschärfte Klinge.
Kommt mit mir. Seht die Zeichen. Ihr werdet
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