Der Tag der Messer: Roman (German Edition)
gleich hinter dieser Türe liegen?«, fragte ein Alb und klopfte gegen das Portal.
»Es wird schon seine Richtigkeit haben«, murmelte der Majordomus, während er las. »Wenn der Kanzler es überbracht hat …«
»Ich habe es jetzt satt«, schimpfte der Alb an der Tür. »Dieses Holz kann mich nicht aufhalten. Ich gehe hinein …«
»Du willst in das verschlossene Arbeitszimmer der Herrin eindringen?«, fragte die Albe hinter den Gnomen erschrocken. Sie ließ ihre Hände, mit denen sie Audan und Magati hielt, ein wenig sinken.
Der Majordomus blickte auf und zog die Brauen zusammen. »Kommt überhaupt nicht in Frage«, verkündete er. »Die Tür ist verschlossen, und niemand öffnet auf unser Klopfen. Das muss uns genügen. Wir werden uns nicht unaufgefordert Zutritt verschaffen.«
Der Alb an der Tür ließ die Schultern hängen.
Der Majordomus las weiter. »Wir sollen uns in der Kapelle versammeln«, erklärte er schließlich und rollte das Schreiben zusammen. »Es wird eine Verlautbarung geben.«
Die Alben blickten einander an. Magati und Audan verhielten sich still und hofften darauf, dass man sie vergaß. Ob sie sich jetzt wohl klein machen und einfach entkommen konnten?, überlegte Magati.
Aber selbst wenn die Albe, die sie festhielt, unaufmerksam war und nicht verhinderte, dass sie ihre Größe änderten, stünden sie immer noch inmitten dieses Nachtgelichters. Da würden sie nicht weit kommen.
Der aufmüpfige Alb an der Tür schüttelte den Kopf. »Das kommt mir seltsam vor. Warum hätte unsere Herrin sich am Tag fortschleichen sollen, ohne das Protokoll einzuhalten? Sie hätte doch einem von uns Bescheid gegeben. Ich bleibe hier im Turm und suche nach ihr.«
Der Majordomus wedelte mit dem Brief, aber auch er wirkte unsicher. »Hier ist ein Befehl mit ihrem Siegel. Den können wir nicht missachten.«
»Wir wissen nur, dass er im Kontor des Kanzlers gesiegelt wurde. Irgendein Schreiber hat ihn aufgesetzt. Geliuna hat diese Befehle womöglich nicht einmal zu sehen bekommen.«
Tegwari, der Bote, meldete sich zu Wort: »Draußen an der Brücke habe ich nur den Kanzler getroffen … Versteht ihr, nur den Kanzler! Keine Wachen. Jemand hat die Goblins abberufen. Etwas Merkwürdiges geht hier vor. Fadin wollte nichts weiter sagen. Er hat nur auf die Befehle verwiesen.«
»Also gut«, sagte der Majordomus. »Wir werden umsichtig sein.«
Er teilte die Alben aus Geliunas Hofstaat auf. Zwei von ihnen sollten weiterhin im Turm nach der Herrin suchen, falls diese sich möglicherweise in eine ihrer geheimen Kammern zurückgezogen hatte. Andere schickte er in den Palast, damit sie sich umhörten und herausfanden, was dieser seltsame Bruch im allabendlichen Protokoll zu bedeuten hatte. Der Bote Tegwari sollte außen herum zum Kontor des Kanzlers gehen und nachschauen, ob Geliuna sich in ihrem Arbeitsraum aufhielt.
»Ein halbes Dutzend von uns wird dann ein wenig später in der Kapelle eintreffen«, schloss er zögerlich. Er kratzte sich am Kopf, dann nickte er entschlossen. »Es wird nicht darauf ankommen. Wir übrigen sollten uns eilen. Der Hofstaat muss Treue und Gehorsam zeigen. Unsere Herrin hat genug Sorgen in Zeiten wie diesen.« Er warf einen flüchtigen Blick auf die Gnome. »Diese Burschen nehmen wir mit. Die Herrin wird sie befragen wollen.«
Der Hof war nicht gepflastert, sondern bestand aus Erde und Sand. Jetzt, nach dem feinen Nieselregen der letzten Tage, war der Boden lehmig und fest.
Mitten auf dem freien Platz stand jener verwinkelte Holzbau, der als »die Kapelle«, bekannt war. Holz war selten und kostbar in Daugazburg. Es schien verschwenderisch, ein ganzes Gebäude nur aus diesem Material zu errichten. Doch die Kapelle entstammte einer Zeit, als die Grauen Lande noch grün gewesen waren.
Audan und Magati hatten von diesem ältesten Teil des Palastes gehört, doch sie sahen ihn nun zum ersten Mal. Die Legende berichtete, Leuchmadan habe das ganze Haus an einem einzigen Tag aus dem Boden sprießen lassen, als ein lebendes Gebäude mit Wurzeln und frischem Grün. Heute war das Holz so tot und trocken, wie es die ganze Ebene um die Stadt seit einem Jahrtausend war. Die grauen Planken waren rissig, die Rahmen an den Fenstern knorrig und verzogen.
Die Stellen allerdings, wo das Bauholz aneinanderstieß, waren unregelmäßig und fugenlos zugleich. Nirgendwo waren Spuren von Nägeln zu sehen oder irgendwelche Zeichen einer gewöhnlichen Bauweise. So mochte man durchaus glauben, dass all das Holz
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