Der Tag der Traeume
Witze? Das wäre die Gelegenheit für mich! Vielen Dank für das Angebot.« Eine Großstadt hatte sie für ihre Arbeiten nie in Erwägung gezogen, und nun bot ihr Charlotte die Chance ihres Lebens …
Kendall war mit der festen Absicht, ihr Haus zu verkaufen und schnellstmöglich wieder abzureisen, nach Yorkshire Falls gekommen. Doch in noch nicht einmal einer Woche hatte sie sich einen Lover zugelegt, Freunde gefunden, war halbwegs in eine Familie integriert worden und stand am Beginn einer bescheidenen Karriere. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie gedacht, sie stünde im Begriff, sich hier häuslich niederzulassen.
Raina blickte auf die Zeituhr ihres Laufbandes und verlangsamte ihr Tempo. Ihr blieben nur noch etwas weniger als fünf Minuten für ihr tägliches Training, auf das sie sich mehr denn je freute, seit ihre vorgetäuschte Krankheit ihre sportlichen Aktivitäten so stark beschnitt. Doch als sie aus dem Fenster blickte, sah sie, wie ein Auto am Bordstein hielt und ihr jüngster Sohn ausstieg.
»Mist!« Roman hatte einen denkbar schlechten Zeitpunkt erwischt. Hastig schaltete sie das Laufband aus, rannte zur Couch, zog eine Decke über sich, griff nach einer Zeitschrift und vergewisserte sich, dass das Telefon in Reichweite stand. Es diente ihr als Sprechanlage, mittels derer sie Roman ins Haus bitten konnte, ohne sich zur Tür bemühen zu müssen. Alles nur, um diese Farce aufrechtzuerhalten, dachte sie grimmig.
Zu ihrem Erstaunen ging die Türklingel nicht, stattdessen hörte sie Roman rufen: »Mom?«
Anscheinend war er einfach ohne Aufforderung hereingekommen, was ihm gar nicht ähnlich sah. Alle ihre Söhne pflegten zu klingeln, auch wenn sie ihren Schlüssel dabei hatten. »Ich bin hier unten«, rief sie zurück.
Sie hörte seine schweren Schritte auf der langen Treppe, die zu dem ausgebauten Keller führte, der früher das Spielzimmer der Jungen gewesen war und später als Fernsehraum gedient hatte.
Roman durchquerte den Raum und blieb vor der Couch stehen. »Hi, Mom.«
Raina musterte ihren Sohn. Die Ehe bekam ihm, stellte sie zufrieden fest. »Hallo, Roman. Wo steckt denn deine entzückende Frau?«
Bei der Erwähnung von Charlotte trat ein Leuchten in seine blauen Augen. »Sie frühstückt mit Kendall.«
»Und du besuchst inzwischen deine Mutter.« Raina legte die Hände gegeneinander. »Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, so einen fürsorglichen Sohn zu haben.«
»Warum bist du die Treppe hinuntergegangen, um dich im Keller hinzulegen? Im Erdgeschoss steht doch auch ein Fernseher, und der ist vollkommen in Ordnung«, tadelte er, ohne auf das Kompliment einzugehen. »Es schadet deinem Herzen, wenn du grundlos die Treppen rauf- und runterrennst.«
»Tja, also …« Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet und hatte daher auch keine Antwort parat. Ihre Söhne glaubten, sie hielte sich an die Anweisung des Arztes, sich zu schonen. Sie glaubten, sie würde die Treppe von ihrem Schlafzimmer zum Erdgeschoss, wo sich die Küche befand, nur ein Mal täglich benutzen. Und der Keller sollte für jemanden mit einer Herzschwäche ohnehin tabu sein.
Roman legte ihr eine Hand auf die Stirn. Seine Brauen zogen sich zusammen, was sie als Zeichen von Besorgnis wertete, aber seine nächsten Worte zerstörten diese Hoffnung.
»Du bist erhitzt und außer Atem. Ich frage mich, woher das kommt.« Er setzte sich zu ihr auf die Couch. »Außerdem schwitzt du, als hättest du gerade einen Marathonlauf hinter dir, Mom.«
Sein Journalisteninstinkt sagte ihm scheinbar, dass hier etwas nicht stimmte, und nun nahm er Witterung auf. Es war schon ein Kreuz mit ihrem Jüngsten, ihm entging einfach nichts.
»Ich transpiriere. Frauen schwitzen nicht«, schoss sie zurück und merkte erst zu spät, dass die Bemerkung einem Eingeständnis gleichkam. Und gerade jetzt konnte sie es sich nicht leisten, sich irgendeinem Verdacht auszusetzen. Sie musste einen Ausweg aus dieser Zwickmühle finden.
Sobald sie und ihre drei Jungs das nächste Mal miteinander allein waren, würde sie die Karten auf den Tisch legen. Sie konnte und wollte nicht länger Theater spielen. Es schadet meinem Herzen, dachte sie sarkastisch. »Unsinn, Roman, ich schwitze nicht. Mir ist unter der Decke nur zu warm, das ist alles.«
»Mir wäre auch warm, wenn ich auf meinem Laufband trainiert, den Lauf plötzlich abgebrochen und mich unter einer dicken Wolldecke versteckt hätte, um ja nicht beim Schwindeln erwischt zu werden.«
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