Der Tag der Traeume
genüsslich, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Sein Lächeln erstarb und machte einem Stirnrunzeln Platz.
»Was hast du denn?«
»Heftiger und intensiver im Schlaf, wie? Da muss ich mich wohl oder übel einmal selbst übertreffen, wenn du wach bist. Ich kann’s ja gleich mal versuchen.«
Als seine Hand erneut auf Wanderschaft ging, packte Kendall sein Handgelenk und hielt es fest. »Erstens hast du dich schon selbst übertroffen, und zweitens soll das heute deine Nacht sein. Wieso fällt es dir so schwer, die Zügel aus der Hand zu geben?«
Noch während sie diese Frage stellte, wurde ihr klar, dass sie damit versuchte, Einblick in sein Innerstes zu erlangen. Die Ursachen für seinen ausgeprägten Beschützerinstinkt lagen offenbar in seiner Jugend verborgen, und sie brannte darauf, sie zu ergründen.
»Bist du sicher, dass du darauf eine Antwort willst? Das könnte eine Weile dauern.«
»Macht nichts.«
Er zuckte die Achseln und machte es sich in den Kissen bequem. Scheinbar stellte er sich darauf ein, eine ganze Zeit zu reden. »Du weißt ja schon, dass mein Vater starb, als ich fünfzehn war. Danach hat sich Chase um alles gekümmert. Er hat die Zeitung am Laufen gehalten und Mom so während dieser furchtbaren Zeit ihre größte Sorge abgenommen.«
»Das tut mir Leid.« Sie drückte seine Hand und kuschelte sich wieder an ihn, diesmal, weil sie hoffte, er werde ihre Nähe als tröstlich empfinden.
»So ist nun mal das Leben. Aber Chase braucht dir nicht Leid zu tun, er hat diesen Entschluss nie bereut. Und für mich war das alles auch nicht so schlimm, ich hatte eine ganz gute Zeit. Natürlich gab es ein paar Schwierigkeiten, aber nichts, womit ich nicht fertig geworden wäre.«
Kendall nahm ihm diese beschönigte Version seiner Vergangenheit nicht ab, wollte es aber nicht auf eine Diskussion ankommen lassen. Nicht jetzt, wo er gerade begann, sich ihr zu öffnen.
»Aber wir alle sorgten uns hauptsächlich um Mom«, fuhr er fort. »Und so machten wir es uns zur Aufgabe, uns um sie zu kümmern und so viele Probleme wie möglich von ihr fern zu halten.«
»Raina macht auf mich aber einen ziemlich selbstständigen Eindruck.«
»Das ist sie heute auch.« Rick blickte zur Decke empor. »Vielleicht war sie das schon immer, aber wir waren die drei Männer im Haus und betrachteten es als unsere Pflicht, für sie zu sorgen.«
Kendall nickte. Alle drei Chandler-Brüder waren außergewöhnliche Männer. Jede Frau konnte sich glücklich schätzen, einen von ihnen zu bekommen. Sie erschauerte und zwang sich, ganz sachlich zu bleiben. »Und dann? Hat dich die Sorge um deine Mutter zur Polizei getrieben?«
Er warf ihr aus den Augenwinkeln heraus einen schwer zu deutenden Blick zu. »Du bist ja heute Abend ganz schön neugierig.«
»Nicht, wenn ich alles weiß.« Sie wollte nicht zugeben, wie wichtig ihr die Vertrautheit war, die sich zwischen ihnen zu entwickeln begann. »Warum bist du zur Polizei gegangen?«
»Träumt nicht jeder kleine Junge davon, später mal Cop zu werden?«
»Schon möglich, aber nicht jeder verwirklicht diesen Traum, wenn er erwachsen ist.«
Rick lächelte. »Gut beobachtet. Chase hat uns zugeredet, unsere Träume in die Tat umzusetzen. Bei Roman war das einfach, er wollte immer in Dads Fußstapfen treten, aber dabei möglichst viel von der Welt sehen. Ich war anfangs unschlüssig, aber Chase hat darauf bestanden, dass wir beide erst einmal das College besuchten, ehe wir eine für unser späteres Leben so wichtige Entscheidung treffen.«
Sie seufzte leise. »Du hast wirklich Glück, eine Familie zu haben, die immer für dich da war und ist.«
Er schien zu spüren, wie schmerzlich das Thema sie berührte, denn er drückte sie enger an sich. »Du hast ja meine Mutter kennen gelernt. Sie ist der lebende Beweis dafür, dass auch unsere Familie nicht perfekt ist«, bemerkte er trocken. »Wie dem auch sei, ich fühlte mich nicht zum Reporter berufen, aber trotzdem fingen wir alle drei nach dem College bei der Zeitung an. Ich hasste diesen Job, und nachdem ich wieder einmal einen Auftrag gründlich vermasselt hatte, teilte Chase mich Chief Ellis zu. Er meinte, wenn ich ständig über die Verhaftung jugendlicher Straftäter berichten müsste, würde ich schon wieder zur Vernunft kommen. Und wie üblich behielt mein allwissender großer Bruder Recht, wenn auch nicht so, wie er gedacht hatte. Ich kam zur Vernunft, und ich erkannte, was mein wahrer Traumberuf war.«
Kendall lachte. »Er scheint
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