Der Tag der Traeume
von dem Schreck schon erholt und ging zu Hannah hinüber. »Erste Sahne«, stimmte er zu, während er mit der Hand über ihr immer noch lila leuchtendes Haar strich.
Kendall überlegte, wie sie ihre Schwester dazu bringen könnte, die scheußliche Farbe endlich auszuwaschen. Doch als Hannah über Ricks Versuch, sich dem Teenagerslang anzupassen, begeistert kicherte, begriff sie, dass es Wichtigeres im Leben gab als Hannahs Äußeres. Hauptsache, sie fühlte sich wohl. In Ricks Gegenwart klang ihr Lachen echt und unbekümmert, und sie erinnerte wieder an das glückliche Kind, das sie vor gar nicht allzu langer Zeit noch gewesen war.
»Sie sind echt herbe drauf.« Hannah kicherte und lenkte Kendalls Aufmerksamkeit so wieder auf ihre Umgebung.
Raina und Eric sahen Rick erwartungsvoll an; warteten offenbar auf eine Übersetzung.
»Total in Ordnung«, erklärte dieser. »Die Arbeit mit Jugendlichen hat meinen Wortschatz beträchtlich erweitert.«
Wieder musste Hannah lachen. Über ihrem Kopf trafen sich Ricks und Kendalls Blicke, und beide mussten unwillkürlich an jene Minuten voll prickelnder Intimität in seinem Apartment denken, die Lisas Anruf so unverhofft unterbrochen hatte.
Sein Haar war noch feucht vom Duschen, und er hatte keine Zeit gefunden, sich zu rasieren. Die Bartstoppeln ließen ihn noch attraktiver erscheinen. Seine dunklen Augen übermittelten ihr eine nicht misszuverstehende Botschaft. Später. Kendall konnte es gar nicht erwarten, endlich wieder mit ihm allein zu sein.
Aber nun stand erst einmal seine Geburtstagsparty an. Allmählich fragte sie sich, ob sie je dazu kommen würden, da weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten.
Am nächsten Morgen schritt Kendall in Gedanken versunken in ihrem Dachatelier auf und ab, während Hannah geräuschvoll Kaugummi kaute und jeden Vorschlag zurückwies, den ihre Schwester bezüglich eines Geburtstagsgeschenks für Rick machte. Sie mussten bis zum späten Nachmittag eine Lösung gefunden haben, denn dann sollten sie Rick abholen und zum Haus seiner Mutter eskortieren, wo, wie er meinte, eine kleine Familienfeier stattfinden würde.
Während der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft hatte Kendall recht schnell gelernt, sich in Rick hineinzuversetzen, daher bezweifelte sie, dass er Gefallen an der für den Abend geplanten Veranstaltung finden würde. Flüchtig erwog sie, ihn zu warnen, kam aber dann zu der Einsicht, dass dies einem Verrat an Raina gleichkäme.
Stattdessen konzentrierte sie sich auf sein Geschenk. Hannah und sie waren übereingekommen, ihm gemeinsam etwas zu schenken. Sie wollten ihm nicht irgendeine Kleinigkeit kaufen, weil ihnen das zu unpersönlich erschien, sondern eigenhändig etwas anfertigen. Seitdem verwarfen sie einen Vorschlag nach dem anderen, ohne sich auf etwas einigen zu können.
»Manschettenknöpfe?«, überlegte Kendall.
Hannah verdrehte die Augen. »Klar, die machen sich gut zu seinen T-Shirts.«
»Eine Krawattennadel?«
»Igitt.« Hannah verschränkte die Arme vor der Brust. »Soll er rumlaufen wie ein Spießer?«
Kendall warf stöhnend die Hände in die Höhe. »Okay, ich geb’s auf. Was würdest du denn vorschlagen?«
»Da du endlich drauf gekommen bist, mich auch mal nach meiner Meinung zu fragen – ich finde, wir sollten ihm eine Halskette machen. Keine kitschige Scheiße, sondern was Cooles. Leder mit Knoten vielleicht.« Hannah schritt um Kendalls Arbeitstisch herum und begutachtete die Plastikbehälter mit den verschiedenen Steinen und Perlen. »Hey, was sind das denn für Dinger?« Sie nahm ein paar schwarz glänzende Perlen in die Hand.
»Hämatitrondelle.«
»Ich versteh nur Bahnhof.«
Kendall lachte. »Leicht abgeflachte, runde, schwarzblaue Perlen. Siehst du, was für einen schönen Schimmer sie haben? Das Mineral, aus dem sie bestehen, heißt Hämatit.«
Hannah machte große Augen. Ein Anflug von Interesse huschte über ihr Gesicht. Vielleicht hatten sie ja endlich eine Gemeinsamkeit gefunden, hoffte Kendall. Sie würde Hannah mit Freuden alles beibringen, was sie über das Anfertigen von Schmuck wusste, und sich von ihrer frischen Unvoreingenommenheit gern inspirieren lassen. Am besten fing sie gleich damit an, indem sie Hannahs Selbstvertrauen ein bisschen stärkte.
Sie streckte eine Hand aus, und Hannah ließ ein paar Perlen hineingleiten. Dann betastete sie die glatten Steine und hielt sie ins Licht. »Wenn man sie auf Silberdraht aufzieht, wirken sie ausgesprochen maskulin.« Sie warf Hannah
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