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Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition)

Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition)

Titel: Der Tag ist dein Freund, die Nacht dein Feind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Münster
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braun glänzenden Augen der jungen Frau vor dem Schalter, als sie ihm den Schlüssel zum Schließfach präsentierte. Er überprüfte die Nummer darauf und sah sie erneut fragend an. „Sie sind nicht Mrs. Emma Watson. Ich kenne Mrs. Watson seit Jahren. Wie kommen Sie an den Schlüssel, junge Frau?“
    Emily zückte schnell ihren Reisepass, um sich auszuweisen. „Entschuldigung, natürlich. Das können Sie nicht wissen. Ich bin ihre Tochter. Meine Mutter ist vor fünf Tagen verstorben und hat mir den Inhalt des Schließfaches vermacht.“
    „Haben Sie ein Kopie des Testaments oder Ähnliches?“
    Emily schüttelte verwirrt den Kopf. Sie war der Meinung gewesen, dass D erjenige das Schließfach öffnen durfte, der den Schlüssel besaß. Und in ihrer Eile hatte sie das Testament bei Mr. Caine liegen lassen und nur den Brief ihrer Mutter eingesteckt.
    „Rufen Sie am besten kurz den Anwalt meiner Mutter an. Mr. Caine, von Caine & Partner. Ich komme gerade von ihm, er hat mir den Schlüssel ausgehändigt.“
    Der Bankangestellte nickte und verschwand mit dem Schlüssel in einem angrenzenden Büro.
    Währenddessen sah Emily sich neugierig um. Wie viele Londoner Banken war auch diese in einem historischen Gebäude mit dicken Mauern und reichen Ornamenten untergebracht, was der Abwicklung der Geldgeschäfte ganz automatisch etwas Hochoffizielles , Würdevolles verlieh. Das Gebäude hatte seinen ganz eigenen Duft. Es roch nach Geschichte, altem Papier und Mauern, die wahrscheinlich viele Geschichten zu erzählen gehabt hätten.
    „Mr. Caine hat mir die Vererbung des Schlüssels bestätigt. Bitte folgen Sie mir.“
    Derart aus ihren Gedanken gerissen, ging Emily dem jungen Mann etwas überrumpelt hinterher und versuchte, sich ihre Platzangst nicht anmerken zu lassen, als er sie in den winzigen Aufzug bat, der ins Kellergeschoss führte. Die junge Frau spürte, wie sich Schweißperlen auf ihrer Oberlippe bildeten und das Atmen ihr immer schwerer fiel. Wie immer schoss eine Panikattacke in ihr e Glieder, als der Aufzug anhielt und es endlos lange Sekunden dauerte, bis sich die Türe endlich wieder öffnete. Jedes Mal befürchtete Emily, dass ausgerechnet bei ihrer Aufzugfahrt plötzlich ein Defekt auftrat und die Türe gar nicht auf ging.
    Aufatmend , mit hämmerndem Herzen und weichen Knien trat sie schließlich mit dem Angestellten zusammen in den langen Flur, dessen Wände links und rechts nur aus Schließfächern bestanden. Sie reichten bis zur Decke. Die oberen Reihen waren nur über eine Leiter erreichbar, die am Ende des Flurs an der Wand lehnte und bei Bedarf an den Wänden entlang gerollt werden konnte.
    Doch ihr Begleiter bewegte sich zielstrebig auf ein Schließfach in mittlerer Höhe zu.
    „Ihre Mutter war seit mehreren Jahren nicht mehr hier. Wissen Sie, was sich in dem Schließfach befindet?“
    Emily konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob der Mann aus Neugierde fragte oder deshalb, weil er die Antwort kannte.
    „Nein. Sie?“
    „Nein, Miss. Aber manchmal erzählen Kunden mir, was sie dort horten. Oft sind es richtig spannende Geschichten. Es geht doch nichts über die kleinen Geheimnisse im Leben, richtig?“ Er lächelte sie auf eine Art und Weise an, die ihr deutlich zeigte, dass er Gefallen an ihr fand. Emily wusste, dass Männer sie für schön hielten, denn sie hatte ein edel geschnittenes Gesicht, doch sie hatte sich nie etwas daraus gemacht. Es gab genug andere schöne Frauen auf der Welt. Die Jungen ihrer Klasse hatten ihr während der Schulzeit deutlich gemacht, dass Emily Watson nicht begehrenswert war, und sie hatte es ihnen irgendwann geglaubt.
    In diesem Fall hatte sie außerdem das Gefühl, dass der junge Mann zu gern erfahren hätte, was sie geerbt hatte. Doch sie hatte keinesfalls vor, ihn an dem ‚Geheimnis’ teilhaben zu lassen.
    „Deshalb sind es Geheimnisse, richtig ? Weil man sie niemandem erzählt.“
    Er starrte sie einen Moment lang unsicher an, bis sie ihm mit einem ungeduldigen Blick bedeutete, er möge nun bitte das Schließfach öffnen.
    Gehorsam steckte er ihren Schlüssel in das dafür vorgesehene Schloss und schob anschließend seinen eigenen Generalschlüssel in das andere. Als er beide gleichzeitig umdrehte, war ein leises Klicken zu hören, und das Fach öffnete sich.
    Diskret zog sich der Angestellte zurück. „Sie können die Kassette dort hinten auf den kleinen Tisch legen. Wenn Sie fertig sind, schieben Sie sie einfach wieder in das Fach und drücken die Klappe zu.

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