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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Eltern ausgehen wollten oder einfach nur so. Die Mischung aus gebratenem Fleisch, Kartoffeln, billigen Zigaretten, Bier und Schnaps. Er hing in ihren Kleidern, in ihrem Haar, und manchmal strömte auch etwas davon aus ihrem Mund, aber niemals zu viel, niemals unangenehm. Er mochte diesen Geruch an ihr, er versprach Geschichten und Lachen, wenn er noch wach war. Oft schliefen seine Schwester und er bei den Eltern seines Vaters, die im selben Haus wohnten, doch hin und wieder durften sie zu Oma Inge. Die Mutter seiner Mutter war noch jung, als er und Dorothea auf die Welt gekommen waren, und sie war lebenslustig. Sie hatte ihren ersten Mann früh verloren, im Ersten Weltkrieg, einen Kavalleristen. Julius kannte das Foto, das ihn in Uniform auf einem kräftigen Kaltblüter zeigte; er war stolz auf diesen Großvater, den er gar nicht kennengelernt hatte. Seine Großmutter hatte, nachdem sie eine Weile getrauert hatte, eine Kneipe aufgemacht, um sich und ihre kleine Tochter zu versorgen. Ein Lokal, das überwiegend von Püttlern nach der Arbeit, aber auch Lehrern und Verwaltungsbeamten besucht wurde. Die Eltern von Julius’ Vater wiederum hatten ein paar Straßen weiter eine Metzgerei. Dort bestellte die Großmutter Würste, Schinken und das Fleisch für ihre Buletten, und dort hatte Julius’ Mutter schließlich seinen Vater kennengelernt, den ehrgeizigen Sohn der Metzgersleute, der sich später nicht selten beschwerte, dass seine Frau keine Lust hatte zu kochen oder sich um den Haushalt zu kümmern. Wenn Julius an seine Mutter dachte, kam ihm das Foto in den Sinn, das sie als junge Frau zeigte und das er zu Hause im Regal stehen hatte: Sie, mit dem Kindersportwagen, in dem er und Dorothea saßen, mit ihren großen Kinderköpfen dicht beieinander, und dem zahnlückenhaften Grinsen der Zwei- und Dreijährigen, eine zierliche Person in einem eleganten, anliegenden Kleid, mit einem geschwungenen Hut mit breiter Krempe über dem ausgelassen lachenden Gesicht.
    Helen streckte sich aus, drehte sich auf den Bauch, den Kopf fort von ihm, und winkelte ein Bein an, auf der Seite, die nicht zu ihm lag. Er rückte so nah wie möglich an sie heran. Er traute sich nicht, sie in den Arm zu nehmen, er wollte sie nicht wecken. Er nahm jetzt ihren ganz eigenen Geruch wahr, der allmählich das Fremde des Abends verloren hatte. Sie roch nach Sommer, Freibädern und Fahrradfahren. Er lächelte, er dachte an die Wälder, von denen sie ihm erzählt hatte, die sie als Kind durchstreift hatte, und er schlief ein.
    Am nächsten Morgen hockte Helen mit angezogenen Beinen auf dem Toilettendeckel, während Julius duschte und sich abtrocknete. Auch dieses Bad war größer als das Schlafzimmer ihrer Anderthalb-Zimmer-Wohnung, genau wie im Hotel in München, es war das, was Helen an der luxuriösen Suite am meisten beeindruckte. Die eleganten Möbel mochte sie nicht. Komm doch mit, hatte Julius auf dem Weg ins Badezimmer gesagt, dann können wir uns weiter unterhalten.
    Interessiert betrachtete Helen den schmalen Männerkörper und staunte wieder über Julius’ so empfindlich wirkende, helle Haut. Sie musterte die kleine Sammlung von Leberflecken an der Leiste. Arme, Beine und Schultern waren gut geformt. Er bewegte sich leicht und gelenkig, von seinem kaum wahrnehmbaren Hinken abgesehen.
    » Ich konnte mit meiner Mutter immer reden, wenn sie in der Wanne lag«, sagte sie, » dann konnte sie nicht weglaufen. Und es gab keine Gäste, die dazwischenkamen.«
    Helen hatte schon geduscht und sich die Zähne mit den Fingern geputzt. Julius fragte sich, ob sich seine ältere Tochter auch so gelassen in fremden Badezimmern bewegte.
    » Hemingway hat gesagt, erst wenn eine Frau in der Gegenwart eines Mannes pinkelt, gibt es ein echtes Verhältnis.«
    » Aha. Tu dir keinen Zwang an.«
    » Hab schon.«
    Sie grinste. Julius setzte sich auf den Rand der Wanne und griff nach seiner Kulturtasche, dem einzigen schwarzen Gegenstand außer den Socken im weiß glänzenden Raum. Helen beobachtete ihn amüsiert und neugierig. Er holte eine helle Dose hervor, schraubte sie auf und puderte sich mit dem Talkum eingehend die Füße.
    Helen kicherte.
    » Das habe ich ja noch nie gesehen, dass ein Kerl sich die Füße pudert!«
    Julius fuhr mit reichlich Puder zwischen alle Zehen, deren Nägel säuberlich gefeilt waren. Helen sah, dass er das Gefühl genoss. Der Puder stäubte hoch, es duftete holzig, frisch.
    » Ich hasse verschwitzte Füße«, sagte er und fügte ironisch

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