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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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kreuz und quer durch den gesamten Berliner Westen; sie stand an der Mauer und sah hinüber . Es ist meine Stadt, Julius, ich bin zu Hause.
    Helen zog die Beine hoch und lümmelte in ihrem Sessel.
    » Gut siehst du aus«, sagte Julius und setzte sich in den zweiten Sessel, der an einem niedrigen Glastisch stand. Er lehnte sich scheinbar entspannt hinein und schlug ein Bein über das andere, Helen dachte bei sich, wie elegant er doch immer aussieht, dass er selbst zu dieser späten Stunde noch seine schwarzen Schuhe trägt. Er fragte sie, worüber sie mit dem Vater ihrer Freundin gesprochen habe, was er mache und tue, in welcher Hinsicht er an ihr interessiert sei. Helen war angeschwipst, die leichte Unsicherheit hinter seiner Sachlichkeit entging ihr.
    » Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht so genau, ich glaube, er hat einfach Spaß daran, mal mit mir auszugehen und mich ein bisschen kennenzulernen.«
    » Nicht mehr?«
    Sie lachte. Sie freute sich über seine Frage.
    » Fehlanzeige!«, sagte sie. » Dafür ist er viel zu korrekt.«
    » Ich bin also nicht korrekt?«
    » Nein«, sagte sie lächelnd. » Du … du stehst über diesen Dingen.«
    » Was heißt, diese Dinge?« Es gefiel ihm sichtlich, sie zu fragen.
    » Na ja, weißt schon.«
    » Weiß ich nicht.«
    » Was die Leute so denken. Dass ich jünger bin als du. Was man bei einem anderen Menschen sucht und findet. Dass man nicht alles in eine Schublade stecken kann. Wie man das Leben mit mehreren Menschen lebt. Dass man mehrere braucht. Dass man nicht alles unter korrekt subsumieren kann, na du weißt schon. Ich glaube, es wäre ihm todpeinlich, sich auf die Freundin seiner Tochter einzulassen. Obwohl es ihm schon gefallen hat, mit mir, er hat sogar gesagt, guck mal, den Leuten fällt bald das Essen aus dem Gesicht. Aber das ist ja zum Glück auch kein Thema zwischen uns. Lottes Mutter ist in die DDR geflüchtet, als Lotte neun war. Das ist ein todernster Mensch, da kann man keine Spielchen machen.«
    » Sie ist in die DDR geflohen?«
    » Ja, stell dir vor. Sie ist in Ostberlin gewesen, auf Besuch, bei irgendeiner Tante, und einfach nicht zurückgekommen. Sie hat dort um Aufnahme gebeten, ganz offiziell.«
    » Hatte sie dort jemanden kennengelernt?«
    » Ich glaube nicht.«
    » Ja, was hat sie denn dann –?«
    » Das wüsste Lottes Vater auch gern. Er sagt, sie hätte schon immer das Gefühl gehabt, auf der anderen Seite des Zauns glücklicher zu sein. Wo man sich, wie er meinte, keine Gedanken über das Geld zu machen hätte. Das Leben als Professorengattin mochte sie auch nicht, sie hat sich geweigert, zu Empfängen mitzugehen, zu repräsentieren und solche Dinge, und Lotte sagt, es wäre sogar ganz oft ihr Vater gewesen, der gekocht hat. Lotte sagt, ihre Mutter wäre unzuverlässig gewesen und verrückt, das muss sie ja sagen, denn sie hat sich von ihr im Stich gelassen gefühlt. Aber ich habe ein Foto von ihr gesehen, sie sah nett aus, hübsch, sehr jung, ich glaube, sie war einfach nur empfindlich. Oder zu jung. Vielleicht ist ihr einfach nur alles über den Kopf gewachsen.«
    » Ich hätte gern den Abend mit dir verbracht«, sagte Julius unvermittelt.
    » Weißt du was?«, sagte sie und sah ihn traurig an. » Ich auch.«
    Helen stand aus ihrem Sessel auf, ging zu Julius hinüber und küsste ihn. Sie schob sich neben ihn auf den Sessel und nahm seine Hand.
    » Mit niemandem ist es so wie mit dir. Alle haben irgendwo eine Grenze. Eine Grenze des Verstehens, des Wissen-Wollens, irgendeine dämliche Grenze ihrer guten Erziehung. Das soll jetzt gar nichts gegen Lottes Vater sein, er ist wirklich sehr nett, ich meine das mehr so allgemein. Er ist sogar ein witziger Typ. Ich glaube, er wollte mir einfach auch mal ein tolles Restaurant zeigen.«
    » Da kennst du ja auch gar keine!«, lachte Julius.
    » Genau. Trotzdem nett. Es war lindgrün gestrichen, und die Preise standen nicht auf der Karte. Außerdem sagt er immer, die besten Impulse kommen von den jungen Leuten. So wie du.«
    » Was hast du ihm denn gesagt, warum du so früh aufbrechen wolltest?«
    » Ich hab geschwindelt. Aber nur durch Auslassung. Ich hab gesagt, ich hätte ein bisschen zu viel getrunken und ich wäre todmüde und morgen früh müsste ich um sieben aufstehen. Er hat mich nach Hause gefahren, das hat die Sache beschleunigt, es ist ja nur ein paar Minuten von mir hierher.«
    Sie gähnte. Mit der Hand vor dem Mund.
    » Du bist wirklich todmüde.«
    » Ja.«
    Als Helen neben Julius im Bett lag

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