Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
Vom Netzwerk:
Cousin nicht einfach einladen konnte, sie zu besuchen. Und er hatte mehrmals gesagt, sie solle doch wieder kommen und öfter. Und dann war der Wagen ein paar Mal ins Schlittern geraten, und er hatte aufpassen müssen, und sie hatten trotzdem gelacht und sich irgendwie miteinander gefreut, zusammen zu sein, und am Bahnhof hatte er ihr einen scheuen Kuss auf die Wange verpasst und machs jut gesagt, und sie hatte scheu zurückgeküsst und gewunken und war mit dem zugeschnürten grauen Karton mit den Tortenstücken, die ihr die Großmutter eingepackt hatte, in die Bahn gestiegen, Tortenstücke im grauen Karton, die sie, nachdem sie nachts um eins erleichtert zu Hause angekommen war, ihren beiden besten Freunden telefonisch ankündigte, gibt’s gleich oder morgen, Schmuggelware, und dann war es sicher erst morgen geworden, aber daran erinnerte sich Helen später nicht mehr, nur, wie sie die erleuchteten Kneipen am Savignyplatz und die bunten Werbetafeln und die vielen Autos an den Straßenrändern gesehen hatte und wie froh sie gewesen war, wieder im Westen zu sein.
    7 Mata Hari 2010
    5* Luxury Hotel with the unique architecture and rich history. It is located in the city center opposite the Bolshoi Theater and within a 3 minutes walk from the Red Square and the Kremlin.
    http://www.metropol-moscow.ru/en/
    Ziemlich genau zu der Zeit, zu der Helen bei ihren Verwandten in der Nähe von Strausberg zu Besuch war, zerbrachen sich Theoretiker wie Thiel den Kopf, wie die DDR ihre Annäherung an den Westen theoretisch begründen könnte, da man ihnen von oberster Stelle aus signalisiert hatte, dass die Kassen leer und die Kontakte zum Westen notwendig seien.
    Die » Koalition der Vernunft«, mit anderen Worten die Verhandlungen mit Bundeskanzler Helmut Kohl und dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß über Kredite, wurde gewissermaßen nachträglich begründet: » Wegen der Bedrohung durch Atomwaffen und Umweltverschmutzung der gesamten Weltbevölkerung gebe nun vorübergehend nicht mehr der Klassenkampf die Richtlinie für politische Entscheidungen vor, sondern die Erhaltung der Art. Weil auch Bundeskanzler Kohl an dieser Interesse habe, sei mit ihm auch für die Zukunft zu rechnen. Selbstverständlich bleibe die Theorie des Klassenkampfes weiterhin nutzbar, aber die menschliche Bevölkerung müsse nun geschützt werden, insbesondere natürlich vor den amerikanischen Atomwaffen.«
    Dies las Helen in einem weiteren Bericht für Erich Honecker, auf Schreibmaschine getippt, fotokopiert und mit schwarzen Balken versehen, im Herbst 2010 im Lesesaal der Birthler-Behörde in Berlin-Mitte. Sie hatte nach ihren Besuchen im SED -Archiv schließlich doch einen eigenen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Die Karteikarte ließ ihr keine Ruhe. Sie hatte außer ihrem Namen nicht die Geburtsdaten ihrer Freunde und Verwandten angegeben, sondern die von Julius, von anderen Vorstandsmitgliedern der Deutschen Aufbau und von einigen Industriellen, und als Thema hatte sie die deutsch-deutschen Handelsbeziehungen im Allgemeinen, mit Berücksichtigung der Deutschen Aufbau im Besonderen benannt.
    » Eine Akte Helen Niemetz gibt es nicht«, sagte Frau Z., die sich mit ihrem Antrag befasste. » Die anderen Unterlagen finden Sie im Lesesaal vor.«
    Helen war erleichtert. Sehr erleichtert. Niemand hatte sie bespitzelt. Trotzdem hatte sie Kopfschmerzen, als sie zum ersten Mal den Lesesaal im fünften Stock eines Plattenbaus in der Karl-Liebknecht-Straße betrat, in dem so viele Menschen in den letzten Jahren erfahren hatten, von Nachbarn, Freunden, Eheleuten verraten worden zu sein. Helen nahm Platz und sah sich vorsichtig um. An den etwa zwanzig grauen Tischen, die zur Hälfte nur besetzt waren, klapperten Laptops, Seiten wurden gewendet. Eigentlich sahen die anderen aus wie sie, wie Forschende. Helen wandte sich den Akten zu. Die Akten waren nicht sortiert; es waren Berichte, Zettel, manchmal eine Seite, manchmal fünf. Die Themen waren gemischt. Keine privaten Bespitzelungen, sondern politische Überlegungen gingen aus den Unterlagen hervor.
    » Ein Geheimdienst versteckt«, sagte Frau Z., als Helen sie am nächsten Tag um einige Erläuterungen bat. » Sie dürfen sich das nicht so systematisch vorstellen, wie wir das heute kennen. Man wollte ja gerade verbergen, deshalb durfte es gar kein logisches Ablagesystem geben; abgesehen davon ist vieles zerstört worden.«
    Die beiden Frauen saßen an einem Tisch in der Garderobe, mit

Weitere Kostenlose Bücher