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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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und der Julius die nonchalante Ausstrahlung ebenso neidete wie seine Durchsetzungskraft. In einem Fernsehinterview nach Julius Tod hatte Baumann gesagt, Julius Turnseck habe nie Zeit gehabt, er sei arrogant und intellektuell unduldsam gewesen und habe seinen Mitarbeitern gegenüber einen Ton am Leib gehabt » wie auf dem Kasernenhof«.
    Niemals hätte Julius seine berufliche Schweigepflicht gebrochen, doch hin und wieder hatte er Helen gegenüber seinem Unmut über einzelne Kollegen Luft gemacht und so auch von Zwistigkeiten mit Heinrich Baumann erzählt; sie hatte es in ihrem Tagebuch notiert. Helen musste nur zwei und zwei zusammenzählen, um bestimmte Verhältnisse innerhalb des Vorstandes nachzuvollziehen. Schließlich kannte sie Julius’ Position in vielen Fragen, auch wenn es keine bankinternen Details waren, eher die Grundlinien seines Interesses.
    Als sie die Akten der Behörden einsah und die Bestandsaufnahmen aus dem Osten und die zahlreichen Zeitungsartikel aus dem Westen las, rekonstruierte sie Einzelheiten, die sie im Nachhinein Verbindungen deutlicher sehen ließen. Zum Beispiel, was Julius Helen 1985 nicht hatte erzählen dürfen. Dass seine Bank federführendes Institut für einen Kreditvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR sein sollte. Solche Geschäfte durften damals nicht von staatlichen deutschen Banken geführt werden, und auch nicht von deutschem Boden aus, sondern nur über Tochterfirmen im Ausland. So schrieb es die Bundesbank vor.
    Helen vermutete, dass Julius sich damals zurückhaltend gezeigt hatte, was diese Kreditvergabe betraf. Wie würde ein Land, von dem er ahnte, dass es marode war und womöglich kurz vor dem Untergang stand, zwei Milliarden Deutsche Mark zurückzahlen können? Zwei Milliarden wären für die Deutsche Aufbau nicht unbedingt ein Drama – sie hatte ein sehr gutes Rücklagensystem –, doch bei allem Patriotismus, den Julius hegte, und bei allem Interesse an der deutschen Wiedervereinigung musste das Geld ja nicht sinnlos herausgehauen werden. Es gab so viele Möglichkeiten, es zu diesem Zweck zu investieren, und es stellte sich die grundsätzliche Frage, ob es klug sei – im Sinne der Wiedervereinigung –, das Regime der DDR überhaupt weiter zu unterstützen und es damit künstlich am Leben zu halten.
    Doch Julius würde, so dachte Helen, mit seinen Zweifeln auf mäßig offene Ohren gestoßen sein. Besonders für Heinrich Baumann, in dessen Bereich in der Bank es seit vielen Jahren fiel, die Kontakte zu Wirtschaftsunternehmen und der Führung der DDR zu pflegen, war dieser Kreditvertrag ein persönliches Prestigeprojekt. Es war zudem eine Angelegenheit von heikler politischer Brisanz; würde ein Wort davon an die Öffentlichkeit gelangen, würde die Sache platzen. Absolute Diskretion war Voraussetzung, dass man der Deutschen Aufbau den Kredit antrug – dies ging aus den Unterlagen überdeutlich hervor –, und nun, da dies geschehen sei, so wird Baumann es formuliert haben, wäre es außer einem guten Geschäft eine Sache des Patriotismus und der Ehre, diese Aufgabe zu übernehmen und sie nicht in Frage zu stellen. Der Kanzler selbst habe die Bank gebeten, die Sache zu übernehmen. Der Kanzler wiederum hatte sein Vertrauen auch Julius persönlich angetragen, den er seit seinem Amtsantritt immer wieder zurate zog ( » er hört nur, was er will«, sagte Julius). Er hatte Julius erklärt, dass die andere Seite im Gegenzug zu diesem Kredit Erleichterungen vor allem im Grenzverkehr in Aussicht gestellt habe. Jedes Misslingen des Kreditvertrages hätte seiner Ansicht nach politische Konsequenzen gehabt, zumal sich zu diesem Zeitpunkt etwa hundertfünfzig Bürger der DDR in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin aufhielten, die ausreisen wollten. Julius hatte sich alles angehört und akzeptiert.
    So dachte Helen. Denn sie konnte sich nicht erinnern, wie viel von den Vorgängen in der Ständigen Vertretung und dem Kreditvertrag sie damals mitbekommen hatte und was Julius ihr angedeutet hatte. Es war wie ausgewischt in ihrem Gedächtnis.
    Hatte Baumann auch auf der Liste der Kandidaten für ein Attentat gestanden? Eher nicht. Helen fand seinen Namen in einer Kontaktliste der Personen, die in verschiedenen westdeutschen Banken Ansprechpartner für die Deutsche Handelsbank und die Deutsche Außenhandelsbank waren, das heißt für die offiziellen Handelsbanken der DDR ; die außerdem zuständig waren für die Mitglieder des Zentralkomitees. Eine

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