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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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bringen.
    » Diese hier sind mit Gänseleberpastete«, sagte ich und lächelte.
    Dieses Büfett vom ZDF aber war für mich. Ich musste keinem Häppchen reichen, ich durfte mir welche nehmen. Ich durfte mich bedienen. Ich freute mich. Ich war stolz. Ich war eingeladen als zukünftige arbeitslose Abiturientin, die etwas Gescheites fragen sollte und dann leider nicht dazu kam.
    Anerkennend und leidenschaftlich begutachtete ich die Kanapees und merkte mir für Mama den Belag. Sie würde fragen, das war so sicher wie das Amen in der katholischen Kirche, in die ich an Opas Hand sonntags immer gegangen war. Klaus, Sohn einer Unternehmerfamilie, griff ohne zu zögern und als wäre es gar nichts, nach dem Lachs. (Lachs war damals etwas Exquisites, nichts, was es bei Aldi und für alle gab). Ich überlegte lange, ob ich Brie mit Walnuss oder Frischkäse mit Paprikaschnitzchen nehmen sollte ( » Wehe, du erzählst den Leuten, dass du Vegetarier bist! Sonst denken die Leute, mit unserem Fleisch ist was nicht in Ordnung!«).
    » Komm, wir robben uns mal ran«, zischte Klaus.
    » Wo?«, fragte ich kauend.
    » Na, bei denen«, sagte er und zeigte mit der Schulter zu der Gruppe, die sich um Julius Turnseck, den wilden Bankier, gebildet hatte. Er war eindeutig der Star des Abends, und alle wollten etwas von ihm.
    Ich zuckte verächtlich die Schultern. Ich wollte erst mal mein Büfett genießen; außerdem wollte ich mich nicht durch Promi-Ranrobben kompromittieren.
    » Na los, komm schon«, sagte Klaus und schubste mich regelrecht Richtung Bankier samt Bewunderern. Der Bankier redete, die umstehenden Männer lachten, ich kaute mein Frischkäsekanapee, und schon machte der gefragte Mann in der Mitte eine einladende Geste zu uns. Mist, dachte ich und würgte am plötzlich pappigen Brot, das mir am Gaumen klebte. Manchmal bleibe ich doch ganz gern draußen.
    » Ich würde zu gern wissen«, sagte Julius Turnseck und sah uns mit strahlenden hellgrauen Augen an, » was diese jungen Leute über unser Thema denken!«
    Klaus wurde puterrot, ich glühte daneben wahrscheinlich in Tiefrosa. Ich versuchte, das in meinem Mund immer größer werdende Kanapee herunterzubringen, und Klaus stieß mich in die Rippen.
    Der Bankier sah mich an. Er lächelte herausfordernd und ermunternd in einem. Er setzte mich out of order.
    » Ich habe mich die ganze Zeit gefragt«, brachte ich mit halb vollem Mund heraus, » wie man einen ganzen Abend über die Zukunft der Arbeit diskutieren kann, ohne auch nur ein einziges Mal das Wörtchen Mikroprozessor fallen zu lassen. Oder wenigstens Computerisierung.« Mein Satz war vorerst fertig, und ich sah mehrere Paare männlicher Augen auf mich gerichtet, mich, das Mädchen ohne Servierschürzchen und Silbertablett.
    » Sehr richtig«, sagte der Bankier, der auch aus der Nähe gut aussah. » Sie haben vollkommen recht. Aber bevor ich spekuliere, sagen Sie uns doch, was genau Sie im Sinn haben!«
    » Och«, sagte ich und sah mich nach einem Getränk um. Mein Mund war staubtrocken.
    » Hier«, sagte der freundliche Mann, der offenbar meine Gedanken lesen konnte, und hielt mir sein Wasserglas hin.
    » Danke«, lachte ich verblüfft und trank erst mal.
    Die auf mich gerichteten Männeraugen wurden groß und rund und schwenkten zum Wasserglasspender.
    » O. k.«, sagte ich, » Sie reden hier von Vollbeschäftigung. Es gibt Prognosen, die besagen, dass bis zum Ende unseres Jahrhunderts in den industrialisierten Ländern ungefähr die Hälfte aller Arbeitnehmer durch Computer ersetzt werden wird. Dass wir uns in eine Dienstleistungsgesellschaft verwandeln, von deren Diensten wir noch nicht genau sagen können, wie sie aussehen, worin sie bestehen. Sicher nicht im Schuheputzen, aber wer weiß, das wird es immer geben.«
    Die Herren kicherten, der Bankier sah mich aufmerksam an.
    » Die alten Industrien«, redete ich mich warm, » über die Sie den halben Abend gesprochen haben, also die Steinkohleförderung etwa, wird es nicht mehr geben. Ganze Zweige werden lahmgelegt werden. Zechen ade. Das läuft ja längst, wie Sie alle wissen. Zugleich werden Verteilungskämpfe entbrennen, weil die heute noch Dritte Welt genannten Länder mitbekommen, was es hier Schönes zum Leben gibt. Sie werden an unserer Tür kratzen, wie Sie das vermutlich nennen würden. Sie werden vor Hungersnöten und Bürgerkriegen nach Europa fliehen. Untersuchungen des Club of Rome besagen, dass wir unsere Erdressourcen bis zu einem Grad ausbeuten, der uns die

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