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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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überdeutlicher Bilder – die sich noch dazu bewegten und veränderten, die sich ebenso beschleunigen wie stehen bleiben konnten. Doch auch » die Öffentlichkeit« würde nach und nach wieder in einzelne Personen, Interessen und Bilder zerfallen.
    Warum war Jonathan Kepler zu mir gekommen?
    » Als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe, als Sie damals beim tag ankamen, da waren Sie noch eine Studentin, oder?«
    Auch das hatte ich vergessen, dass wir uns schon einmal begegnet waren.
    Jonathan Kepler war vielleicht zehn Jahre älter als ich, ein mittelgroßer Mann, mit einem etwas eckigen Kopf und freundlichen Augen von einer undefinierbaren hellen Farbe. Er saß ruhig und gelassen da, als hätte er alle Zeit der Welt. Er hatte in seiner körperlichen Ausstrahlung eine gewohnheitsmäßige, gleichmütig wirkende Zugewandtheit, die mich zum Reden brachte und mit der er es schaffte, hinter seinen Fragen wie unsichtbar zu wirken. Vielleicht dachte ich deshalb gar nicht daran, was er aus all dem, was er hörte, später machen würde. Er stellte seine Fragen nicht drängend, sondern einladend; hinterher dachte ich oft, wie anders das Gespräch gelaufen wäre, hätte er nicht bei aller Routine echtes Interesse gezeigt. Als er an jenem Nachmittag so lange bei mir zu Hause saß und sein Tonband lief und er seine Fragen stellte, waren fünfzehn Jahre seit dem Attentat auf dich vergangen. Jonathan Kepler, der zu jener Zeit als Wirtschaftsjournalist für den tag arbeitete, eine linke Tageszeitung, hatte dich in den Achtzigerjahren mehrmals interviewt. Er hatte dich bewundert und gemocht.
    Plötzlich glaubte ich mich dunkel daran zu erinnern, dass du mir von diesem Journalisten erzählt hattest, der dich in Washington angesprochen hatte. Einige Jahre später, als ich den Spieß umdrehte und ihn befragte, würde Jonathan Kepler mir erzählen, wie es damals dazu gekommen war.
    Jetzt hatte er mir vor unserem Treffen am Telefon gesagt, er wolle zur Erinnerung an dich einen Artikel schreiben, der ein anderes Bild von dir zeichnete, nicht nur den unpersönlichen, mächtigen Bankier, den Vorstandssprecher der Deutschen Aufbau, der durch den Mord kurz nach dem Mauerfall zu einer tragischen Figur geworden war. Ob ich ihm nicht helfen wolle dabei. Er wollte nicht die öffentliche Figur, die man aus den Schlagzeilen der Zeitungen, von Pressekonferenzen und einigen Fernsehauftritten kannte. Einerseits. Andererseits interessierte ihn noch immer, was diesen Mann zu seinen Lebzeiten zu einer Ausnahmefigur unter den Bankern gemacht hatte. Ein Banker, der nicht nur als einer der ersten seiner Branche die Öffentlichkeit gesucht hatte, sondern sogar ausgerechnet ihm, seiner linken Zeitung, damals das erste Seiten füllende Interview gegeben hatte.
    Misstrauisch fragte ich ihn mitten im Gespräch, wie er auf mich gekommen sei.
    Jonathan Kepler sagte, er habe sich an den Tag des Anschlags erinnert. Eine junge Frau in Lederjacke, schwarzem Pulli und Jeans hatte vor ihm in der Redaktion gestanden, aufgelöst, blass, man habe sie zu ihm geschickt, er werde den Nachruf auf den ermordeten Bankier schreiben, ob das richtig sei? Jonathan Kepler war auf den Flur gestürzt und hatte gerufen » Ist er wirklich tot? Ist das schon offiziell?« und hatte die junge Frau überrascht angesehen: » Woher wissen Sie das? Wer sind Sie?«
    » Das spielt gar keine Rolle«, hatte die junge Frau gesagt und ihn ohne Umschweife gebeten, nichts Böses über Julius Turnseck in seinem Nachruf zu schreiben. » Ich habe ihn gekannt, er ist ein redlicher Mensch gewesen. Ich will nicht, dass meine Zeitung etwas Gemeines über ihn publiziert.«
    Jonathan Kepler erinnerte sich fünfzehn Jahre später nicht mehr an alle Einzelheiten ihres Gesprächs, doch an den Eindruck, den es auf ihn gemacht hatte. Er fing an, nach ihr zu suchen. Er wandte sich an Joachim Römer, der einen spektakulären Film über Julius Turnseck gedreht hatte, in dem das Leben des Bankiers mit dem eines Terroristen der RAF parallel dargestellt worden war. Ob er von dieser jungen Frau wisse. Römer wusste; er hatte sie besucht, die Familie Turnsecks hatte ihn zu ihr geschickt. Sie hatte für den Film nicht vor die Kamera gewollt. Helen Niemetz hatte geheiratet und trug nicht mehr ihren Mädchennamen. Sie war Schriftstellerin und schrieb inzwischen hin und wieder für Jonathan Keplers Zeitung – er war inzwischen für den GLOBUS tätig – über Literatur. Kepler rief die Literaturredaktion an und schilderte sein

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