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Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Der Tag ist hell, ich schreibe dir

Titel: Der Tag ist hell, ich schreibe dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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kalt draußen, sitzen sie beim Kartenspiel, als im Radio die Meldung kommt, dass die Engländer einen ersten großen Angriff auf mehrere deutsche Städte im Ruhrgebiet geflogen haben, der in Teilen erfolgreich abgewehrt werden konnte. Es erfolgt der Hinweis, dass einige Zugverbindungen unterbrochen sind, und die Jungen verstehen, was dies bedeutet: Die Gleise wurden zerstört, und nicht nur sie. » In Teilen« bedeutet immer, dass es auf deutscher Seite schwere Verluste gab. Doch nach der Devise Der Feind hört mit werden keine genauen Informationen gegeben. Plötzlich zittert einer der Jungen, Karl, wie Espenlaub. Er kann die Karten nicht mehr in der Hand halten.
    » Ich bring ihn mal aufs Zimmer«, sagt Julius.
    Wie wirst du ihn getröstet haben? Wirst du gesagt haben, Karl, du musst tapfer sein? Hast du gesagt, reiß dich zusammen, oder hast du ihn in die Arme geschlossen?
    Es ist die erste Großoffensive gegen das Deutsche Reich, sie richtet sich gegen die » Waffenschmiede« im Rheinland und im Ruhrgebiet, Julius’ Heimat: The Battle of the Ruhr, die mehrere Monate anhalten wird. Fünfzehntausend Menschen werden beim ersten Angriff auf deutscher Seite getötet, sechstausend Flieger der britischen Bomber fallen. Das Kommando heißt » Oboe«, es ist ein Funkleit- und Zielfindungssystem. Sogenannte pathfinder, kleine zweimotorige » Mosquitos« ermitteln die Zielpunkte, sie fliegen den Langstreckenbombern voraus, die zuerst die Industrieanlagen und dann die Städte Dortmund, Düsseldorf, Bochum und Essen mit Bomben bewerfen. Große Flächen liegen in Schutt und Asche. Wochenschau, Zeitungen und Radiosender dürfen keine Bilder der Zerstörung zeigen, doch den Andeutungen ist es zu entnehmen, und vieles spricht sich herum. Der Hass gegen die englischen und amerikanischen Terrorflieger wird geschürt.
    Martin Bormann, Hitlers Privatsekretär, kommt zu Besuch in die Reichsschule, und Franz Xaver Schwarz, der der Parteikasse vorsteht, hält im Hotel Sisi einen Vortrag über die Ziele des Deutschen Reichs. Es sitzen mehr Frauen als Männer im Publikum.
    Die Jungen können nicht immerzu an den Krieg denken. Das, was sie sehen, ist eine wunderbare Landschaft. Der Frühling kommt, sie leben auf der Insel der Glückseligen. Sie üben ein Theaterstück über Friedrich den Großen; sie studieren die gesetzmäßige Auslese in der Natur nach Darwin; in Erdkunde erörtern sie die » Großlebensräume der Völker«; sie lernen Griechischvokabeln, lateinische Grammatik und englische Sätze; sie hören Schallplatten auf dem Grammophon und sprechen über das Wesen der Musik. Sie glauben an das deutsche Volk. Sie glauben an Hitler. Sie glauben, was man ihnen sagt, dass Deutschland stärker, kultivierter und bedeutender ist als der Rest der Welt. Und dass sie dieses Deutschland verkörpern sollen. Am Nachmittag spielen sie » Schiffe versenken« oder » Stadt, Land, Fluss«, wenn sie sich nicht auf dem Sportplatz tummeln. Im Frühjahr finden die Reichssportwettkämpfe statt. Sie trainieren den Hürdenlauf auf der Aschenbahn neben der » Villa Maffei«. Julius gehört immer zu den drei Besten in seinem Jahrgang.
    Im Sommer, wenn sie zur Roseninsel im Starnberger See rudern, auf der Tausende von Rosen blühen und duften, reden die Jungen manchmal darüber, was sie alles tun wollen, wenn der Krieg zu Ende ist. In der Schule darf man sie nicht hören, es gibt auch Schüler, vor denen sie sich hüten müssen, doch immer öfter hört man diese Wendung, wenn der Krieg vorüber ist. Abends hängen sie am Radio, dem sogenannten Volksempfänger, und verfolgen, ob die Frontlinie sich ihren Heimatorten nähert. Ob ihre Familien gefährdet sind oder ihre Väter, die irgendwo in Frankreich oder Russland in der Schlacht sind. Sie warten etwas angespannter als früher auf die Post ihrer Mütter, um Neuigkeiten zu erfahren. Sie dürfen ausländische Zeitungen lesen, sie sollen zu kritischen Geistern erzogen werden, doch die Lehrer deuten die Zeitungen in ihrem Sinn. Ihr seid Deutschland, ihr verkörpert das Beste unseres Landes.
    Sie gehen schwimmen, sie liegen in der Sonne, ihre Haut wird braun.
    Vielleicht ist es das, woran sie sich am besten erinnern werden, was sie am meisten an die Kindheit, die Jugend erinnern wird: das Schwimmen im klaren Wasser, der Körper, der sich streckt, dehnt, glückliche Bahnen zieht, und danach die angenehm brennende Sonne auf der nackten, kühlen Haut. Tag um Tag, einen Sommer lang.
    In den Sommerferien bleiben

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