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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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sich, er könnte ihr Gesicht sehen. Endlich sagte sie: »Ich spreche von hier aus.«
    Jack wusste bereits, was er zu tun hatte. Seine Mutter schloss leise die Schlafzimmertür; er hörte sie zur Frisierkommode zurückkehren. Sie nahm den Hörer in ihrem Schlafzimmer ab. »Okay, Jacky«, rief sie durch die Tür. »Okay«, rief er zurück. Dann hielt er den Hörer wieder ans Ohr und deckte die Sprechmuschel mit der Hand ab, damit niemand seinen Atem hören konnte.
    »Ein Bravourstück, Lily«, sagte Onkel Morgan. »Grandios. Wenn du noch beim Film wärest, könntest du damit Schlagzeilen machen. Warum verschwand diese Schauspielerin? – oder etwas dergleichen. Wird es nicht allmählich Zeit, dass du anfängst, dich wieder wie ein vernünftiger Mensch zu benehmen?«
    »Wie hast du mich gefunden?«
    »Glaubst du etwa, du wärest schwer zu finden? Dass ich nicht lache. Mach, dass du nach New York zurückkommst, Lily. Es wird Zeit, dass du aufhörst, davonzulaufen.«
    »Tue ich das, Morgan?«
    »Du hast nicht gerade die halbe Ewigkeit vor dir, Lily, und ich kann meine Zeit nicht damit vergeuden, dir durch ganz Neuengland nachzuspüren. He, warte mal. Der Bengel hat den Hörer nicht aufgelegt.«
    »Natürlich hat er das.«
    Jacks Herz hatte ein paar Sekunden zuvor zu schlagen aufgehört.
    »Geh aus der Leitung, Junge«, sagte Morgans Stimme zu ihm.
    »Mach dich nicht lächerlich, Sloat«, sagte seine Mutter.
    »Ich werde dir sagen, was lächerlich ist, Lady. Dass du dich in irgendeinem schäbigen Badeort verkriechst, während du von Rechts wegen im Krankenhaus sein solltest, das ist lächerlich. Herrgott, weißt du denn nicht, dass wir eine Million Entscheidungen zu treffen haben? Außerdem mache ich mir Gedanken über die Zukunft deines Sohnes, und es ist nur gut, dass ich das tue, denn dir scheint das völlig gleichgültig zu sein.«
    »Ich will nicht mehr mit dir reden«, sagte Lily.
    »Du willst nicht, aber du musst. Ich werde kommen und dich in ein Krankenhaus stecken, mit Gewalt, wenn es sein muss. Wir müssen zu einer Übereinkunft gelangen, Lily. Dir gehört die Hälfte der Firma, die ich zu leiten versuche – und Jack bekommt deine Hälfte, wenn du tot bist. Ich will sicherstellen, dass für Jack gesorgt ist. Und wenn du dir einbildest, du sorgtest in diesem gottverdammten Nest in New Hampshire für Jack, dann bist du erheblich kränker, als du glaubst.«
    »Was willst du, Sloat?« fragte Lily mit erschöpfter Stimme.
    »Du weißt genau, was ich will – ich will, dass für alle gesorgt ist. Ich will nur, was recht und billig ist. Ich kümmere mich um Jack, Lily. Ich gebe ihm fünfzigtausend Dollar pro Jahr – überleg dir das, Lily. Ich sorge dafür, dass er auf ein gutes College kommt. Du kannst ihn ja nicht einmal in die Schule schicken.«
    »Edelmütiger Sloat«, sagte seine Mutter.
    »Hältst du das für eine Antwort? Lily, du brauchst Hilfe, und ich bin der einzige, der sie dir anbietet.«
    »Und was springt dabei für dich heraus?« fragte seine Mutter.
    »Das weißt du verdammt gut. Ich bekomme meinen gerechten Anteil. Ich bekomme das, was mir zusteht. Deinen Anteil an Sawyer & Sloat – ich habe mich halb totgearbeitet für die Firma, und sie sollte mir allein gehören. Wir könnten den ganzen Papierkram an einem Vormittag erledigen, Lily, und uns dann darum kümmern, dass für dich gesorgt wird.«
    »Wie für Tommy Woodbine gesorgt worden ist«, sagte sie. »Manchmal habe ich das Gefühl, ihr beide, du und Phil, wart zu erfolgreich. Sawyer & Sloat war besser unter Kontrolle zu halten, bevor ihr ins Grundstücksgeschäft und in die Industrie eingestiegen seid. Denkst du noch an die Zeit, in der ihr nur eine Handvoll unbedeutender Komiker und ein halbes Dutzend hoffnungsvoller Schauspieler und Drehbuchautoren als Klienten hattet? Mir gefiel das Leben besser, bevor das große Geld anrollte.«
    »Unter Kontrolle zu halten? Du spinnst wohl?« schrie Onkel Morgan. »Du kannst ja nicht einmal dich selbst unter Kontrolle halten.« Dann bemühte er sich um mehr Gelassenheit. »Ich will vergessen, dass du Tom Woodbine erwähnt hast. Das war unter deiner Würde, Lily.«
    »Ich lege jetzt auf, Sloat. Bleib fort von hier, und bleib fort von Jack.«
    »Du gehst in ein Krankenhaus, Lily, und mit diesem Herumreisen ist ein für allemal …«
    Seine Mutter legte mitten in Onkel Morgans Satz auf; auch Jack legte seinen Hörer auf die Gabel, ganz leise. Dann trat er ein paar Schritte näher ans Fenster heran, als wollte

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