Der tanzende Tod
Höre auf zu jammern und mache dich einfach an die Aufgabe.
Ich gestattete mir ein ungezügeltes Aufschluchzen und einen Schauder vor schrecklicher, nackter Angst und drängte diese dann brutal beiseite. Sie wurde zu einer Eiskugel und setzte sich irgendwo zwischen meinem Halse und meinem Magen fest, zitternd zwar, aber aus dem Weg.
Mein Kopf war klar. Was sollte ich nun also anfangen?
Der Mechanismus der Winde bot mir eine nahe liegende Lösung. Rasch ließ ich das Seil bis zu seinem Ende hinab und betete, dass es funktionieren würde. Dann löste ich mich auf, bis ich beinahe transparent war, schwebte über den niedrigen Rand und hinein in die schwarze Öffnung.
Der Wind war nach wenigen Metern nicht mehr zu spüren. Meine Sicht, welche in dieser Form stets eingeschränkt war, nahm nichts als Dunkelheit wahr, außer wenn ich nach oben blickte. Die eckige Öffnung über mir wurde unangenehm klein. Jeder Zentimeter weiter abwärts war schlimmer als der vorige, aber ich zwang mich weiter nach unten. Falls Edmond hier und am Leben war, war seine Not weitaus wichtiger als meine kindischen Ängste.
Nun bewegte ich mich blind fort. Meine geisterhaften Hände konnten die Backsteine, welche die Wände säumten, und das Seil vor mir nur knapp spüren. Dann bemerkte ich, dass das Wasser sich unmittelbar unter mir befand. Ich griff nach unten und versuchte ihn zu finden. Mir schlug das Herz bis zum Halse, und plötzlich überkam mich die Hoffnung, dass er überhaupt nicht hier sei, dass ich einen voreiligen Schluss gezogen hatte, welcher auf einem Fehler beruhte, dass ich diesen schrecklichen Ort verlassen konnte und ...
Ein Objekt. Groß. Welches schwer im Wasser auf und ab schaukelte. Und, nun unverkennbar, das schwache Stöhnen eines Menschen.
Ich griff, ohne nachzudenken, nach dem Seil. Meine Hand durchdrang es. Verdammnis. Es gab keinen anderen Weg; ich musste mich hineinbegeben, um ihn zu finden. Ich nahm mehr Gestalt an und ließ mich noch tiefer sinken. Zuerst berührten meine Füße das Wasser, dann kroch es wie der grimmige Tod an meinen Beinen und meiner Taille hoch. Fließende Ströme bereiteten mir immer Schwierigkeiten, aber dieses friedlichere Zeug war dennoch auf eine seltsame Weise bösartig. Vor Kälte. Vor schmerzhafter Kälte, die das Gehirn betäubte und den Körper absterben ließ.
Da ich nun vollkommen massiv geworden war, sorgte mein Gewicht dafür, dass ich sofort eintauchte – und für einen kurzen Moment untergetaucht wurde.
Schwarz in schwarz, frostig, erstickend, schlug es direkt über mir wieder zusammen und schloss mich von der Außenwelt ab. Orientierungslos schlug ich wild um mich, um die Wasseroberfläche zu finden, und traf dabei mit der Hand eine schleimige Wand. Dies schmerzte, aber der Schmerz katapultierte mich aus der drohenden Hysterie heraus. Ich zwang mich, still zu halten, bis der natürliche Auftrieb mir die Richtung zeigte. Ich machte einen Schwimmzug, und mein Kopf ragte wieder aus dem Wasser. Ich spuckte und blies das Zeug aus Nase und Mund und sog kalte, feuchte Luft ein, welche ich nicht zum Leben benötigte, aber dies hatte mir der Instinkt eingeflüstert, nicht der Verstand. Tatsächlich hatte ich Mühe, unter diesen ungünstigen Bedingungen eine massive Form zu behalten, und musste gegen die impulsive Reaktion ankämpfen, mich wieder aufzulösen und die Flucht zu ergreifen.
Ich ruderte mit den Füßen, um mich über Wasser zu halten, und suchte verzweifelt nach dem Seil, meiner gesegneten Verbindung zu der Welt über mir. Stattdessen schlugen meine Hände gegen irgendein durchnässtes Material. Meine Finger schlossen sich um etwas, von dem ich nicht wusste, was es war.
»Edmond?« Keine Antwort.
Wenn ich nur etwas sehen könnte. Ich tastete um mich und berührte unerwartet Fleisch. Es war seine Hand, und sie hielt sich krampfhaft an dem einzigen anderen Ding fest, welches in diesem Loch schwamm, dem hölzernen Eimer. Es war keine Wärme in ihm zu spüren, aber dies bedeutete an einem Ort wie diesem wenig.
Indem ich mich an seinem Arm entlang emportastete, fand ich sein Gesicht. Es befand sich über Wasser, aber nur knapp. Wegen all der platschenden Geräusche und des verzerrten Echos konnte ich etwas so Leises wie seinen Herzschlag oder seinen Atem nicht ausmachen. Jedoch war das Stöhnen, das ich gehört hatte, ebenfalls ein deutlicher Hinweis darauf, dass er noch lebte.
Indem ich versuchte, seinen Griff um den Eimer unangetastet zu lassen, suchte ich nach
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