Der tanzende Tod
kleinen Stuhl und einem ebensolchen Tisch. Letzterer enthielt die Reste ihrer letzten Mahlzeit, Papier, Schreibfeder und Tinte sowie mehrere Kerzen, von denen zur Zeit aber nur eine einzige brannte.
Im Gegensatz zu Ridley konnte man sich bei Clarinda darauf verlassen, dass sie das Haus nicht niederbrennen würde, obgleich ich mir nicht sicher war, ob ich das Risiko eingegangen wäre. Vielleicht gründete Edmond sein Vertrauen auf ihr gut funktionierendes Gefühl für Eigennutz, und er wusste, dass sie nichts versuchen würde, was scheitern und ihre eigene Haut in Gefahr bringen könnte.
Sie blickte zur Tür, da sie mich offensichtlich mit den Lakaien reden gehört hatte, und hatte sich bereitgemacht, mich zu empfangen. Sie stand in dem engen Raum zwischen Bett und Tisch, und ihre Hände waren sittsam auf der Höhe ihrer Taille gefaltet. Noch immer trug sie die schwarzen Trauerkleider von gestern, und ihr Kleid war durch einige Tränen- und getrocknete Schlammspuren beeinträchtigt, sodass der Eindruck leidender Würde, welchen vorzutäuschen sie bestrebt war, ein wenig verdorben wurde.
Natürlich konnte sie nicht erwarten, dass ich das Zimmer auf die Art betreten würde, wie ich es tatsächlich tat, aber bevor sie mehr tun konnte, als auch nur als Reaktion ihre Augen aufzureißen, bahnte ich mir mit voller Konzentration einen Weg in ihr Innerstes.
Vergiss, was du soeben gesehen hast, Clarinda.
Ihr Mund klappte auf, und sie taumelte unsicher einen Schritt zurück, als sei sie körperlich getroffen. Hatte ich zu viel Gewalt angewendet? Dies hätte fatale Folgen, wenn es sich als wahr herausstellen würde. Meine Furcht vor den grässlichen Konsequenzen sorgte dafür, dass ich mich abwendete, bis meine Fassung wiederhergestellt war.
Als ich wieder genügend Mut gesammelt hatte, um erneut hinzublicken, sah ich, wie sie den Kopf schüttelte und mit den Augen zwinkerte, als sie ihr Gleichgewicht und ihr Bewusstsein wiedererlangte. Bis zu diesem Moment hatte ich sorgfältig darauf geachtet, meine Gefühle ihr gegenüber nicht zu erforschen; nun wurde mir klar, wie stark sie wirklich waren und als wie gefährlich sie sich herausstellen könnten. Wenn ich in meinem Herzen schon nichts als Ärger wegen Ridleys Handlungen verspürte, so hatten diejenigen von Clarinda glühenden Zorn in mir erweckt. Durch alle Beschäftigungen dieser Nacht war es mir gelungen, diesen gründlich zu begraben, als ob man Erde auf ein Feuer schaufelt. Aber anstatt die Flammen zu ersticken, hatte diese Beerdigung dazu gedient, ihre Hitze zu erhalten, wenn nicht gar zu vergrößern. Ich traute mir nicht zu, meine Wut im Umgang mit ihr strikt unter Kontrolle zu halten. Also gäbe es für mich nun keine Beeinflussungen mehr, denn durch diesen Zustand wurden die wahren Wünsche meines tiefsten Herzens zu sehr in die Nähe ihrer tatsächlichen Ausführung gerückt, als dass ich mich damit wohl fühlen würde.
»Jonathan?« Ihre Stimme hatte durchaus keinen festen Klang, aber ich fand sie dennoch ausgesprochen beruhigend. Es schien, als sei ihr Geist nicht bleibend geschädigt worden, auch wenn dies auf ihren Körper nicht zutraf. Der Kampf der letzten Nacht hatte bei ihr seine Spuren hinterlassen. Ihr Kiefer war an der Stelle, an welcher ich sie getroffen und bewusstlos geschlagen hatte, blau angelaufen und geschwollen.
»Ich habe deine Nachricht bekommen«, sagte ich in einem so ausdruckslosen und entmutigenden Tonfall, wie es mir nur möglich war. Dies verursachte mir überhaupt keine Schwierigkeiten.
»Ich danke dir, dass du gekommen bist.«
»Was willst du?«
»Ich – ich will überhaupt nichts. Das heißt –«
»Clarinda, du hast mich nicht ohne Grund hergebeten«, meinte ich müde und setzte meine Kerze auf dem Tisch ab.
Ihr Mund klappte zu.
»Sprich einfach und bringe es hinter dich.«
Sie hob ihr Kinn mit festem Blick. »Edmond sagte, es gehe dir gut, ich hätte dich beim Schießen verfehlt.«
Sie hatte mich nicht verfehlt, nicht aus einem Abstand von zwei Schritten, aber es war mir gelungen, mich einen entscheidenden Augenblick lang aufzulösen, wobei Dunkelheit, Explosion und Pulverdampf mir gute Dienste geleistet hatten, um dies zu verbergen.
»Ich dachte, er habe mich vielleicht angelogen. Ich bin froh zu sehen, dass dies nicht der Fall ist.«
»Tatsächlich?«
»Du kannst glauben, was du willst, Jonathan, aber ich wollte dir niemals Schaden zufügen.«
»Oh, wirklich?«
»Was geschehen ist, geschah nur, um mein Kind zu
Weitere Kostenlose Bücher