Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
Traum, der kein Traum war, stand der Prediger am Fußende des Bettes. Jetzt trug er ein rotes Gewand und einen Priesterkragen.
»Mary«, sagte er sanft.
In dem Traum, der kein Traum war, war Ruby nackt. Sie spürte die kühle nächtliche Brise, die durch das Fenster ins Wohnmobil wehte. Sie roch den Duft der Geißblattsträucher und der Sommerhyazinthen.
In dem Traum, der kein Traum war, drang der Prediger in sie ein. Ruby erlitt furchtbare Schmerzen. Im Dämmerlicht des Schlafraums sah sie seine Augen und spürte seinen heißen Atem auf ihrer Haut. Einen winzigen Augenblick wurde ihr ein Blick in seine Seele gewährt, und sie sah in einen schrecklichen Abgrund, in dem ein Feuer loderte.
*
Ruby erwachte in einem der Lastwagen in ihrem Schlafsack. Sie richtete sich auf. Ihr Schädel dröhnte, und alles drehte sich vor ihren Augen. Jeder Muskel tat ihr weh, und sie hatte entsetzlichen Durst. Hektisch suchte sie ihr neues Kleid.
Es war verschwunden.
*
Als Nächstes hielten sie in einer kleinen Stadt namens Hannibal im Südwesten von Ohio. Sie errichteten das Zelt auf einer Wiese mit Blick auf den See. Es war Spätsommer, und die Mücken wurden zur Plage. Der Prediger schickte zwei Jungen in die Stadt, um die Flugblätter zu verteilen.
Um achtzehn Uhr trafen die ersten Gläubigen ein. Es waren nicht viele, denn es war der erste Abend an diesem neuen Ort. Der Prediger blieb immer drei Tage in einer neuen Stadt, damit sich die Nachricht verbreitete, und das geschah jedes Mal.
Zu jener Zeit begleiteten den Prediger insgesamt neun Leute auf seinen Reisen.
Der Prediger wusste, dass er in kleinen, armen Städten spätestens am zweiten Abend sämtliche Spendengelder, die er bekommen konnte, einkassiert hatte. Deshalb veranstaltete er anschließend die »Abende mit den Gaben des Herrn«, wie er sie nannte. Er ermunterte die Gläubigen, Essen zu spenden, und hielt einen kürzeren Gottesdienst ab. Während Geldspenden selbstverständlich auch angenommen wurden, brachten die meisten Gläubigen selbst gebackenes Brot, geräucherte Wurst, Marmelade, Eingemachtes und hausgemachte Pasteten.
An diesen Abenden speisten der Prediger und seine Leute jedes Mal fürstlich.
*
Als die Holy Thunder Caravan die Stadt New Martinsville erreichte, schloss sich ihnen ein Mann namens Carson Tatum an. Carson war Mitte fünfzig, ein freundlicher Witwer, der mehr Geld als Glauben besaß. Es hieß, Carson Tatum habe seine kleine Kette von Eisenwarengeschäften mit einem guten Gewinn verkauft und widme sein Leben fortan dem Wort Gottes, wie der Prediger es verkündete.
Der Prediger brauchte einen Fahrer, der die immer umfangreichere Ausrüstung transportierte, und die beiden trafen ein Abkommen. Zu den Versammlungen, zu denen anfangs durchschnittlich fünfzig Personen gekommen waren, kamen mittlerweile über zweihundert, und es wurden immer mehr, als sich herumsprach, dass der Prediger über heilende Kräfte verfüge.
Carson, der niemals eigene Kinder gehabt hatte, schloss Ruby auf Anhieb ins Herz, und sie wurden Freunde. Oft fuhr sie auf dem Beifahrersitz seines Pick-ups mit, und er erzählte ihr Geschichten aus der Zeit, als er auf Frachtschiffen die Häfen ferner Orte wie Singapur, Shanghai und Karatschi angesteuert hatte.
*
Ein paar Monate später hielten sie an einem heruntergekommenen Motel am Rande von Youngstown, Ohio. Mittlerweile begleiteten den Prediger elf Leute auf seinen Reisen.
Ruby fühlte sich nicht gut. Ein anderes Mädchen, ein oder zwei Jahre jünger als sie, kümmerte sich nun um Abigail und Peter.
Das neue Mädchen war blond und hübsch, aber in sich gekehrt. Ihr Verhalten ähnelte in vieler Hinsicht dem Rubys zu der Zeit, als sie sich dem Prediger angeschlossen hatte. Das Mädchen verehrte den Prediger sehr und konnte ihm kaum in die Augen schauen, wenn er sie ansprach.
Ruby litt schon länger unter dem Unwohlsein. Es begann mit morgendlicher Übelkeit, die so schlimm war, dass sie sich übergeben musste. Oft schaffte sie es nicht bis zu den mobilen Toiletten, die für die Besucher der Gottesdienste in der Nähe des Zeltes aufgestellt wurden.
Im dritten Monat war Rubys Schwangerschaft nicht mehr zu verbergen, und so ging sie eines Abends zum Wohnmobil des Predigers, um ihm die wundervolle Nachricht zu überbringen, doch er schickte sie weg.
Ehe Ruby sich schlafen legte, sah sie das neue Mädchen, Bethany, mit Abigail spielen. Zwischen den verrosteten Fords und Pick-ups spielten sie Verstecken.
Bethany trug Rubys
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