Der Teufel in dir: Thriller (German Edition)
Mädchen, doch sie war stärker, als es den Anschein hatte. Oft leistete sie ebenso viel wie die beiden älteren Jungen, die mithalfen.
An jedem neuen Ort logierten sie entweder in einem kleinen Motel oder auf einem Zeltplatz. Jedes Mal ging der Prediger als Erstes in die Stadt und verkündete das Wort Gottes. Wenn es möglich war, vereinbarte er mit dem lokalen Radiosender ein Interview. Der Aufenthalt der Holy Thunder Caravan wurde auf den religiösen Seiten der Lokalzeitung immer kostenlos angekündigt. Doch erst wenn der Prediger eine kleine Werbeanzeige in der Rubrik »Veranstaltungen und Termine« schaltete, tauchten größere Scharen von Gläubigen auf.
Manchmal rief der Prediger Ruby abends in sein Zimmer. Er setzte sich vor den Spiegel, während sie sein wunderschönes goldenes Haar bürstete. Zu den wenigen Dingen von Wert, die Ruby von zu Hause mitgenommen hatte, gehörte die Haarbürste ihrer Großmutter. Die Bürste mit den im Petit Point gestickten Blumen auf der Unterseite hatte einen goldfarbenen, ziselierten Metallgriff. Jeden Abend bürstete Ruby das Haar des Predigers – niemals weniger als hundert Bürstenstriche –, wobei er ihr Geschichten aus der Bibel vorlas.
Während Ruby in den nächsten Monaten mit der Holy Thunder Caravan reiste, verbrachte sie viel Zeit mit den Zwillingen Abigail und Peter. Der Prediger hatte die Zwillinge aufgenommen, nachdem deren Eltern bei einem Autounfall in der Nähe von Elkins ums Leben gekommen waren. Sie waren zu dem Zeitpunkt noch Kleinkinder, aber sie waren auf eine Weise von Gott berührt worden, die sie zu einzigartigen Wesen machte.
An vielen Abenden, wenn sie das Zelt abgebaut und es mitsamt den Stühlen und Ständen auf den Lastwagen geladen hatten, sodass alles für die Abfahrt in der Morgendämmerung vorbereitet war, las Ruby Abigail und Peter etwas vor.
Am Liebsten hörten sie Samuel 1,17, die Geschichte von David und Goliath.
*
Als Ruby dreizehn Jahre alt war und allmählich die ersten weiblichen Formen sichtbar wurden, änderte sich alles.
Eines Abends an einem heißen Julitag, als sie sich am Stadtrand von Moundsville aufhielten, nahm der Prediger ihre Hand und sagte: »Komm mit mir, mein Kind.«
Sie gingen zu seinem Wohnmobil, dem großen Wagen, in dem Ruby noch nie gewesen war. Dort standen goldene Sofas und ein Fernseher, und an die Decke war ein blauer Himmel gemalt.
Im Wohnraum des Wohnmobils hing an der hinteren Wand an einem Haken ein hübsches, rosarotes Kleid aus einem Geschäft. Der Prediger sagte Ruby, es gehöre ihr, und sie solle es anziehen.
Sie setzten sich an einen Klapptisch und aßen gemeinsam – nur sie beide. Ruby war so nervös, dass sie sich daran erinnern musste, ihr Essen richtig zu kauen. Zum ersten Mal im Leben trank sie Wein.
Als Ruby nach dem Essen die Teller abgeräumt hatte, setzten sie sich einander gegenüber auf die Sofas.
»Der Herr hat Großes mit dir vor, Mary Elizabeth«, sagte der Prediger.
»Wirklich?«
Der Prediger verharrte einen Augenblick reglos, was er oft tat, und stand dann auf. An diesem Abend trug er schwarze Kleidung und eine schwarze Krawatte. Er bewegte sich wie eine Katze durch den kleinen Raum. Dann setzte er sich neben Ruby aufs Sofa und nahm ihre Hand. Als Ruby so dicht neben ihm saß, konnte sie die kleinen goldenen Punkte in seinen Augen sehen. Ihr wurde schwindelig in seiner Nähe.
»So Gott will, wird es noch viele Jahre dauern, aber die Zeit wird kommen, da ich nicht mehr in der Lage sein werde, den Menschen das Wort Gottes zu verkünden«, begann er.
»Aber … warum nicht?«, stammelte Ruby und rutschte auf dem Sofa hin und her. Das neue Kleid aus dem Geschäft war ein wenig eng.
Der Prediger lächelte, und Ruby spürte, dass ihre Knie zu zittern begannen. Sie versuchte es zu unterdrücken.
»Noch bin ich jung, aber das wird nicht immer so bleiben.«
Ruby wusste, was er meinte, konnte sich den Prediger aber nicht anders vorstellen als so, wie er jetzt aussah.
»Lass uns auf die Güte des Herrn trinken«, sagte er und reichte ihr ein Kristallglas. Dann nahm er sein eigenes Glas, und sie stießen an. Es klang wie das Läuten der Glocke in einer großen, leuchtenden Kapelle auf einem Hügel.
Ruby führte das Glas an die Lippen und trank einen Schluck. Zuerst war dieser neue Wein ihr zu bitter, aber je mehr sie trank, desto besser schmeckte er.
Bis tief in die Nacht las der Prediger aus der Heiligen Schrift vor, und dabei tranken sie von dem bitteren Wein.
*
In dem
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