Der Teufel von Garmisch
ziemlich wenig Haare.«
»Sie haben ihn angesprochen. Wo?«
»Er stand an der Fußgängerampel an der Hauptstraße. Ich war mit dem
Rad unterwegs zur Arbeit, da ist er mir aufgefallen. Ich hab ihn gefragt, ob er
in der Nachbarschaft wohne. Und er hat Ja gesagt.«
Schwemmer kratzte sich an der Oberlippe. »Sie wissen, dass es um
einen Mordfall geht, Frau Misera. Es hätte gefährlich sein können, den Mann
anzusprechen.«
»Wie ein Mörder sah er nicht aus.«
Schwemmer lachte auf, und auch Carmen Misera lachte ein wenig, als
ihr klar wurde, was sie da gesagt hatte.
»Der Mann wohnt in der Ludwigstraße. Die Hausnummer wissen Sie
nicht«, stellte Schwemmer fest.
»Nein. Aber wenn ich ihn noch mal sehe …«
»… dann sprechen Sie ihn bitte nicht an. Wenn Sie sehen, wo er wohnt, reicht das völlig. Dann rufen Sie mich bitte
an.«
»Sie oder Herrn Schafmann?«
»Mich«, sagte Schwemmer und reichte ihr seine Visitenkarte. »Ich
leite die Mordkommission.«
* * *
Sebastian wachte erst auf, als Carina ihn sanft an der Schulter
rüttelte.
Sie saß auf dem Bettrand. »Wenn du dich noch frisch machen willst,
solltest du aufstehen«, sagte sie mit einem schüchternen Lächeln.
Sebastian nickte nur und beeilte sich, ins Bad zu kommen.
Der Tag verging in Hektik. Sie fuhren mit der Personenfähre über den
Fluss zur Messe, dort schloss sich ein schier endloser Fußmarsch an. In der
Messe herrschte noch das Chaos des letzten Aufbautages. Dr. Lerchl war
überhaupt nicht einverstanden mit dem, was die Messebauer da errichtet hatten,
und führte lautstarke Diskussionen mit dem tschechischen Vorarbeiter, der ihm
immer wieder die Pläne unter die Nase hielt, die Lerchl höchstpersönlich
abgenommen hatte. Natürlich führte das alles zu nichts, aber Selbach schaffte
es, dass ihre Truppe konzentriert und trotzdem einigermaßen entspannt auf dem
Stand ihre Materialen verteilte und sich einrichtete.
»Und? Wie ist Ihre Kabine?«, fragte er Sebastian, der gerade dabei
war, das Intranet zu installieren.
»Passt schon«, antwortete er.
»Das ist schön. Aber machen Sie mir keinen Unfug mit der Frau
Öckler.« Selbach sagte das mehr in Carinas Richtung, auf deren Wangen prompt
rote Flecken erschienen. Er sah auf die Uhr. »Um sechs sind wir mit den
Brasilianern verabredet. Sind Sie bis dahin fertig?«
»Ja«, sagte Sebastian. »Locker.«
»Das Treffen ist eher informell, die Kollegen vom Vertrieb bleiben
erst mal außen vor. Dr. Lerchl, Sie und ich, und Frau Öckler als
Dolmetscherin.«
Carina fuhr erschrocken herum. »Ich auch?«
»Ja. Mögen Sie nicht essen gehen?«, fragte Selbach mit einem
Lächeln.
»Ja, schon. Aber ich war da gar nicht drauf vorbereitet … Ich hätte
sonst was anderes angezogen …«
* * *
»Verstehe«, sagte Schafmann in den Hörer. »Nein, nein, das ist
völlig in Ordnung … Ja, bitte, tun Sie das. Wann immer es Ihnen passt, Frau
Misera … Ja, pfüat Eane.«
Langsam legte er den Hörer auf die Gabel und starrte seine
Schreibtischplatte an. Fast eine Minute lang verharrte er bewegungslos, dann
griff er sich einen Ordner, irgendeinen, und knallte ihn auf den Boden. Es half
überhaupt nicht.
Er hatte einen Kloß im Hals. Carmen wollte ihn nicht mehr sehen.
Er wusste nicht, wieso. Sie wollte ein Protokoll unterschreiben. Auf
der Wache. Es war nicht nötig, dass er extra noch mal zu ihr in die Wohnung
kam.
Nicht nötig.
Idiot, Idiot, Idiot, dachte er. Sei verdammt noch mal froh! Du bist
Familienvater! Willst du tatsächlich alles riskieren, weil irgendwelche Hormone
in deinem Körper verrücktspielen?
Aber war es wirklich nur sein Körper, der verrücktspielte? Oder war er verrückt?
Sein Blick ging zur Uhr. Feierabend war vorbei. Er hatte Bärbel
gesagt, er müsse Überstunden machen wegen des Mordfalls, aber das war gelogen.
Er hatte sich noch ein paar Fragen an Carmen ausgedacht, völliger Unfug, aber
es wäre ein Grund gewesen, sie zu sehen.
Ich könnte sie vorladen, dachte er, dann muss sie zu mir kommen; in der nächsten Sekunde hätte er sich am liebsten geohrfeigt
für diesen Gedanken.
Schon die Sache mit dem Auto war so vage gewesen, dass er sie
eigentlich gar nicht hätte verwenden dürfen. Er hatte ihr von dem Citroën
erzählt, den sie suchten, und prompt glaubte sie, einen gesehen zu haben. Sie
meinte sogar, den Fahrer beschreiben zu können, aber das war ihm wirklich zu
weit gegangen. Er hatte die Sichtung des Wagens überhaupt nur in die Ermittlung
aufgenommen,
Weitere Kostenlose Bücher