Der Teufel Von Muenster
einfach zwei Kilo zu viel auf den Rippen.
Zu viel war vielleicht, wie sie selbst einräumen musste, nicht ganz der passende Ausdruck, denn ihr Gewicht lag durchaus noch innerhalb der Spanne, die für ihr Alter und ihre Größe angemessen war. Ihr Body-Mass-Index lag bei dreiundzwanzig. Da konnte man nicht wirklich von einem Diätbedarf sprechen. Aber sie wollte die Dinge einfach nicht schleifen lassen.
Das bedeutete, für heute gestattete ihr der selbst erstellte Ernährungsplan nur noch einen Apfel. Mehr nicht.
Während sie den aß, setzte sie sich an ihren Computer, um noch die Abrechnungen für die Krankenkasse und den Landschaftsverband fertig zu machen. Die Bürokratie hatte in ihrem Beruf immer mehr zugenommen. Da waren Psychologen innerhalb jener Branche, die man zusammenfassend als Helfer bezeichnen konnte, keine Ausnahme. Eine Bürokraft, die das für sie erledigte, konnte sie sich nicht leisten. Ihre Praxis ging ganz gut, aber in erster Linie verdiente sie ihr Geld mit Gerichtsgutachten und der Arbeit für Polizei und Justiz. Die zogen sie immer wieder zurate. Forensik war ihr Spezialgebiet. Reguläre Patienten hatte sie nur wenige, und das war auch gut so.
Zwischenzeitlich unterdrückte Anna ein Gähnen. Schließlich sah sie ein, dass sie wohl einfach inzwischen zu müde war, um jetzt noch eine Arbeit zu machen, bei der es auf höchste Sorgfalt ankam. Einer plötzlichen Eingebung folgend, gab sie dann den Namen Timothy Winkelströter ein und suchte nach ihm im Internet.
Der Internetshop, von dem der Grufti aus Kattenvenne gesprochen hatte, war schnell zu finden. Mittelalter-Kleidung wurde dort ebenso angeboten wie Schwerter und Dolche. Branagorn hätte seine Freude an dem Sortiment, dachte Anna. Das Schwergewicht des Angebots lag jedoch auf okkulten Amuletten, die zum Teil auch in Auftragsarbeit erstellt wurden. Zauberrunen nach Wunsch des Kunden, bemalte Glückssteine an allergiefreien Halsketten und außerdem ein großes Sortiment an Ringen mit zum Teil recht martialischen Motiven. Totenschädel und Geisterfratzen in dunklem Metall oder in Silber dominierten.
Aus irgendeiner instinktiven Regung heraus ging sie im Seitenmenü noch einmal zurück zur Kleidung. In einem der Untermenüs fand sie dann etwas, das sie förmlich erstarren ließ. Schnabelmasken für Pestärzte nebst Zubehör.
Anna wählte Sven Hallers Nummer. Aber der ging nicht an sein Handy, und sie wurde an die Mailbox verwiesen.
»Bitte sprechen Sie nach dem Signal«, säuselte ihr eine Maschinenstimme mit dem Charme eines preiswerten Navigationsgerätes ins Ohr.
»Hallo, Sven. Du solltest dir unbedingt die Homepage von Timothy Winkelströters Online-Shop ansehen. Da gibt es Schnabelmasken, die genauso aussehen wie die, die wir in Jennifer Heinzes Schrank gefunden haben – und wie sie auch der Typ auf dem Mittelalter-Markt trug, mit dem unser Elbenkrieger sich duelliert hat. Ich weiß nicht, ob das irgendeine Bedeutung hat, aber auffällig ist es schon. Ansonsten – bis morgen.«
Es war sehr spät, als Anna endlich ihre Praxis verließ und in ihre Wohnung ein Stockwerk höher ging. Genau genommen schlief sie hier eigentlich nur. Selbst das Frühstück nahm sie schon unten in der Praxis ein. Die Küche, die zur Wohnung gehörte, war so gut wie nie benutzt worden, und sie musste immer darauf achten, dass sich dort keine Staubschicht bildete.
Es war drei Uhr nachts, als Anna van der Pütten die Schuhe und ihre Kleidung sehr sorgfältig in den Kleiderschrank hängte und wenig später völlig erschöpft ins Bett sank. In diesem Zustand sollte es eigentlich keine Träume mehr geben. Man schlief einfach ein, und der Körper nahm sich sein Recht auf Erholung. So stellte sich Anna das vor. Früher hatte sie oft unter Albträumen zu leiden gehabt. Im Grunde war sie die gesamte Schul- und Ausbildungszeit davon gepeinigt worden und hatte zeitweilig sogar Schlafmittel genommen, um dem ein Ende zu setzen. Es waren Träume gewesen, in denen sie verfolgt und gehetzt wurde oder in denen sie an einem Wettbewerb im Marathonlauf teilnehmen sollte, ihr aber plötzlich die Beine versagten, weil sie von einem zum anderen Moment vollkommen ihrer Kräfte beraubt und wie gelähmt gewesen war.
Das waren die Träume einer sehr ehrgeizigen, perfektionistischen Person, die von massiven Versagensängsten heimgesucht wurde. Es hatte Jahre gedauert, bis sie das verstanden und sich selbst gegenüber etwas großzügiger geworden war. Vielleicht war das sogar die
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