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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyndsay Faye
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lässt es für uns da liegen. Wir kommen dann vorbei, wenn wir einen Moment frei haben, und schreiben uns Nachrichten. Oder Witze. Es ist weg.«
    Wir suchten danach, aber das Tagebuch blieb verschwunden. Ich wusste nicht recht, ob mir das wirklich weiterhelfen würde, und so fragte ich ihn weiter aus.
    »Hatte Marcas irgendwelche besonderen Freunde?«
    »Meinen Sie unter uns oder bei der Kundschaft?«
    »Beides.«
    »Nee, Marcas, der stottert doch. Und wie. Deshalb schreibt er ja auch Tagebuch. Wir kommen ihm hallo sagen, und eine Stunde später schreibt er eine Antwort, und die lesen wir dann.Wer nicht schreiben kann, der malt ein Bild. Ist so’n Spiel von uns.«
    Die Miene des Jungen verdüsterte sich. Es hatten sich schon leichte Sorgenfalten in sein Gesicht gegraben, tiefer als sie hätten sein dürfen, tiefer als die von Bird. Um drei oder vier Jahre tiefer.
    »Sie haben gesagt: Hatte Marcas irgendwelche besonderen Freunde«, flüsterte er.
    »Ich habe nur noch eine Frage, dann erkläre ich dir alles«, versprach ich.
    »Und wie lautet die?«
    »Wie lange würdest du brauchen, um all deine Kumpels unter sechzehn, die hier arbeiten, zusammenzutrommeln und Schuhe für sie aufzutreiben?«
    Manche Leute würden behaupten, dass die kostbaren Minuten, die es braucht, um sechs Jungen abmarschfertig unten an der Treppe dieses elenden Lochs zu versammeln – unter tatkräftigem Einsatz meines begeisterten neuen Assistenten John, der, wie sich herausgestellt hatte, der Älteste war –, sinnvoller hätten verwendet werden können. Ich würde ihnen nicht zustimmen. Zumal es noch um einiges länger hätte dauern können, aber zum Glück hatte die Harpyie mit der Opiumpfeife bereits völlig die Segel gestrichen, als wir zu siebt an ihr vorbei aus dem Haus polterten, sie hatte gelbe Pisseflecken auf ihrem Kleid und schnarchte wie ein Holzfäller. Sollte mich noch der Wunsch ankommen, sie in die Tombs zu werfen, konnte ich ja noch einmal vorbeikommen. Aber vorläufig hatte ich anderes zu tun.
    Es waren also nur zwei Stunden vergangen, bis ich wieder bei St. Patrick’s ankam, in der Hoffnung, man habe Pfarrer Sheehy unterdessen freigelassen. Tatsächlich stand er mit Neill und Sophia in seinem kleinen Pfarrgarten, die Sonne spiegelte sich auf seiner Glatze, während sie gemeinsam Tomatenpflanzen beschnitten, die die feuchte Luft mit ihrem dunklen, pfeffrigen Duft erfüllten.
    »Wen haben wir denn da?«, fragte er, als er uns anrücken sah.
    »Peter, Ryan, Eamann, Magpie, Jem, Tabby und John«, antwortete ich.
    »Der Herr sei gepriesen«, erwiderte der Priester grinsend. »Und dabei war ich überzeugt, dass mich heute nichts auf Gottes Erdboden zum Lächeln bringen würde.«
    *
    Ich ging nach Hause.
    Mrs. Boehm war beim Backen, sie knetete mit den Handballen den Teig und schob dabei das knochige Becken vor. Als ich eintrat, blies sie sich eine glanzlose Haarsträhne aus den Augen.
    »Gibt es einen sicheren Ort, an den Sie für ein oder zwei Tage mit Bird gehen könnten?«, fragte ich. »Wir würden den Laden so lange zusperren, und ich erstatte Ihnen den Verlust an Einnahmen. Die Demokratische Partei wird dafür aufkommen. Es gefällt mir gar nicht, welche Wendung die Dinge genommen haben. Bitte sagen Sie ja.«
    Sie hörte mit dem Kneten auf. Musterte mich von oben bis unten mit ihren wässrigblauen Augen, während sie nachdachte. »Cousine Marthe, sie lebt in Harlem. Das ist keine lange Reise. Ich wollte sie schon längst einmal besuchen. Das wäre jetzt eine gute Gelegenheit.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte ich hocherfreut. »Ich muss erst mit Bird sprechen.«
    »Ich danke Ihnen «, erwiderte sie, als ich die Treppe hinaufging, »dass Sie dieses Pferd gestohlen haben. Oh, Mr. Wilde?«
    »Ja?«
    »Da gibt es eine sehr gute Folge von Licht und Schatten in den Straßen von New York . Höchst ... interessant.« Auf ihren Lippen brach sich ein schüchternes Lächeln Bahn. »Ich habe es Ihnen vor die Tür gelegt.«
    »Mrs. Boehm, Sie sind ein Schatz«, sagte ich und lächelte zurück.
    Bird war nicht in Mrs. Boehms Zimmer. Sie war in meinem,betrachtete meine Amateur-Zeichnungen und hatte sich bei meinem Metzgerpapier bedient, einen Bleistift in den Fingern. Ihr eckiges Gesicht zerschmolz zu einem kleinen Lächeln, als sie aufblickte.
    »Ich hoffe, es stört Sie nicht, Mr. Wilde.«
    »Gewiss nicht. Aber ich bin nicht so vom Schicksal begünstigt, dass ich einen Bleistift mein eigen nennen könnte. Wie bist du denn an den

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