Der Thron des Haryion
Shalladad zeigte Verständnis.
Gib dich nicht mit solchen Belanglosigkeiten ab, mahnte Jäglau. All das ist heute ohne Bedeutung.
Mythor empfand, als stürze er in eine endlose Dunkelheit. War das die Ewigkeit, die auf ihn wartete?
»Wie bist du Haryion geworden?« fragte er Jäglau, um sich abzulenken.
Durch Dummheit.
Ich dachte…
Du hast recht, Freund. Ich sollte besser sagen, durch Leichtgläubigkeit. Aber was tut einer wie ich, den ein ungnädiges Schicksal tief in die Schattenzone verschlagen hat, der auf der Flucht um sein Leben bangen muß und von einem Schatz vernimmt, der ihn zum angesehensten Mann des Shalladads machen kann?
Er greift zu, bevor andere dies tun.
Mythor taumelte zwischen zwei Welten. Die eine war sein Leben, wie er es bislang geführt hatte; die andere hieß schlicht und einfach: Haryion sein. Jäglau schien nichts von diesem Zwiespalt wahrzunehmen.
Lange Jahre hindurch suchte ich das Land Lorumee, bis ich es endlich fand. Tot und unfruchtbar lag es vor mir und sollte doch Reichtümer bergen, von denen viele sprachen.
Inscribe, entfuhr es Mythor ungewollt.
Jäglau stutzte.
Du kennst die tanzende Löwin? Ja, ich ahnte es. In deinen Gedanken ist ihr Bild.
Dann bist du ihr ebenfalls begegnet?
Kaum fand ich jene Zauberblume, die zu dem verheißenden Schatz gehören sollte, tauchte die Löwin aus dem Nebel auf und begann mit ihrem Tanz, der sie unsichtbar werden ließ. Ich war wie gelähmt. Was damals geschah, weiß ich nicht mehr. Meine Erinnerung beginnt erst wieder, als Haryien mich wegschleppten.
Die Nesfar brachten der Löwin Geschenke, bemerkte Mythor. Ihm war dabei, als sehe er Siebentags Körperbilder auch jetzt ganz deutlich vor sich.
Inscribe übergab ihnen dafür manches ihrer Opfer. Einige davon wurden Haryion.
Schlagartig begriff Mythor, wovor die sterbende Löwin ihn hatte warnen wollen. Und er verstand, was ihm bislang unklar gewesen war. Nur die Frage blieb, ob es Inscribes Absicht gewesen war, ihn und die Amazonen den Nesfar auszuliefern. »Haryion…« Mythor benötigte eine Weile, um zu begreifen, daß es diesmal eine krächzende Stimme war, die zu ihm sprach. Mühsam öffnete er die Augen.
Asmilai stand vor ihm, wenige Schritte neben ihr eine Haryie, der ein Flügel fehlte und die von mehreren Nesfar bewacht wurde. Hinter ihnen warteten Burra, Gerrek und etliche Amazonen, ebenfalls von den Vogelweibern umringt.
»Die Gefangene«, sagte Asmilai.
Mythor fühlte, wie sich das Skelett enger um seinen Brustkorb schloß. Eine unheimliche Kraft strömte auf ihn über.
Er war der Haryion. Er mußte herausfinden, was die Zaron planten, was wirklich hinter allem steckte.
»Warum der neuerliche Angriff auf unseren Stock?«
Nicht seine eigenen Gedanken sprach er aus, sondern Worte, die ihm plötzlich auf der Zunge lagen. Ähnlich war es gewesen, als er Burra den Befehl erteilt hatte, mit den Haryien zusammenzuarbeiten.
Wie nicht anders zu erwarten, schwieg die Zaron. Ihre Blicke schienen Mythor jedoch förmlich zu durchbohren.
Ohne sein Zutun lösten sich die Skelettflügel, schlugen nach der Gefangenen und zwangen sie in die Knie. Er kam trotzdem nicht frei, weil die Rippen ihn nach wie vor einengten.
»Wer führt euch an, seit euer Haryion vom Fährmann geholt wurde?«
»Yoter«, brachte die Zaron hervor.
»Ist er der neue Stockbewahrer?«
»Nein. Aber er versprach uns einen Haryion.«
»Wen?« wollte Asmilai wissen.
Kopfnickend zeigte die Gefangene auf Mythor.
»Yoter sagte uns, daß wir mit ihm unbesiegbar würden. Wir – wir wußten nicht, daß ihr ihn zum…« Die Zaron begann zu zittern.
»Deshalb die Angriffe auf die Phallus und den Stock«, stellte Burra fest. »Schickt diese Haryie zu ihresgleichen zurück, und niemand wird es mehr wagen, sich gegen euch zu stellen.«
Asmilai erwiderte nichts darauf.
»Wer ist Yoter?« wollte sie wissen. »Wie sieht er aus?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du lügst«, schrie Asmilai. »Wenn dir dein Leben lieb ist, antworte.«
»Ich habe ihn nie gesehen.«
»Ist er klein, flink und erinnert mehr an ein Fellbündel denn an einen Vogel?« fragte Gerrek. Er dachte dabei an den flüchtigen Schemen, den er auf dem Felsanker für wenige Augenblicke wahrgenommen hatte.
Die Gefangene schwieg. Ihr Flügel hing schlaff am Körper herab, als hätte sie bereits mit dem Leben abgeschlossen. Als Asmilai plötzlich auf sie zusprang, zuckte sie nicht einmal.
»Sie sagt die Wahrheit«, kam es unvermittelt von Mythor. »Keine
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