Der Thron von Melengar: Riyria 1 (German Edition)
blutbefleckte Klinge gestreut und dazu den letzten Teil des Zauberspruchs gesprochen. Jetzt fehlte nur noch das Mondlicht.
Ein Klopfen an ihrer Tür ließ sie zusammenschrecken. »Hoheit? Arista?«, rief der Großherzog von draußen.
»Was gibt es, Onkel?«
»Kann ich dich kurz sprechen, Kind?«
»Ja, Augenblick.« Arista zog den Vorhang zu, sodass der Dolch auf der Fensterbank verdeckt war. Sie legte Mörser und Stößel in ihre Truhe, schloss diese ab, wischte sich den Staub von den Händen und prüfte im Spiegel den Sitz ihrer Frisur. Dann ging sie zur Tür und öffnete sie, indem sie sie kurz mit ihrer Halskette berührte.
Der Großherzog trat ein, noch immer in seinem schwarzen Wams, die Daumen lässig in den Schwertgürtel gehakt. Seine schwere Amtskette schimmerte im Schein des Kaminfeuers. Er sah sich kritisch in ihrem Gemach um. »Dein Vater hat es nie gutgeheißen, dass du hier oben wohnst. Er wollte dich immer unten haben, beim Rest der Familie. Ich glaube, es hat ihn ein wenig gekränkt, dass du dich auf diese Weise separierst. Aber du warst ja immer schon eine Eigenbrötlerin, nicht wahr?«
»Hat dieser Besuch einen bestimmten Zweck?«, fragte sie gereizt, während sie sich auf ihr Bett setzte.
»Ich finde, du bist mir gegenüber in letzter Zeit sehr schroff, Kind. Habe ich dich irgendwie verärgert? Du bist meine Nichte und hast gerade deinen Vater und vielleicht auch deinen Bruder verloren, ist es da so schwer vorstellbar, dass ich mir einfach nur Sorgen um dich mache? Um deine seelische Verfassung? Menschen tun manchmal … unerwartete Dinge in ihrem Schmerz – oder Zorn.«
»Meine seelische Verfassung ist bestens.«
»Ach ja?«, fragte er und zog eine Augenbraue hoch. »Du hast dich die letzten Tage hauptsächlich hier oben eingeigelt, was für eine junge Frau, die gerade ihren Vater verloren hat, keine gesunde Reaktion sein kann. Ich würde doch meinen, du solltest den Wunsch haben, mit deiner Familie zusammen zu sein.«
»Ich habe keine Familie mehr«, sagte sie resolut.
» Ich bin jetzt deine Familie, Arista. Ich bin dein Onkel, aber das willst du ja nicht wahrhaben, was? Du willst mich als deinen Feind betrachten. Vielleicht ist das ja deine Art, mit dem Schmerz umzugehen. Du verkriechst dich hier in diesem Turm, und wenn du mal deine Festung verlässt, dann nur, um über mich herzufallen, weil ich deinen Bruder zu finden versuche. Das verstehe ich nicht. Ich frage mich auch, warum ich dich noch keine Träne um deinen Vater habe vergießen sehen. Ihr standet euch doch sehr nah, oder nicht?«
Braga ging zum Frisiertisch mit dem Schwanenspiegel hinüber und blieb stehen, als er auf etwas trat. Er hob eine silberne Haarbürste vom Boden auf. »Die hier hat dir dein Vater geschenkt. Ich war dabei, als er sie kaufte. Er wollte nicht, dass ein Diener eine Haarbürste für dich aussuchte. Er ging selbst in die Läden von Dagastan, um genau die richtige zu finden. Ich glaube wirklich, dass das für ihn das Schönste an der ganzen Reise war. Du solltest mit so wichtigen Dingenachtsamer umgehen.« Er legte die Bürste zu den anderen auf den Tisch.
Dann wandte er sich wieder der Prinzessin zu. »Arista, ich weiß, du hattest Angst, er könnte dich zwingen, einen hässlichen alten König zu heiraten. Ich nehme an, die Vorstellung, in den unsichtbaren Mauern der Ehe gefangen zu sein, war dir ein Gräuel. Doch wie auch immer es sich in deinem Kopf dargestellt haben mag, er hat dich geliebt. Warum weinst du nicht um ihn?«
»Ich kann dir versichern, Onkel, mit mir ist alles in Ordnung. Ich versuche nur, mich abzulenken.«
Braga ging weiter in dem kleinen Raum umher, musterte alles sehr genau. »Ja, das ist auch noch so etwas«, sagte er zu ihr. »Du beschäftigst dich die ganze Zeit, aber du versuchst nicht, den Mörder deines Vaters zu finden? Ich an deiner Stelle würde es tun.«
»Ist das nicht deine Aufgabe?«
»Doch. Und ich arbeite Tag und Nacht daran, das kannst du mir glauben. Aber der Schwerpunkt lag für mich, wie du wissen solltest, darauf, deinen Bruder zu finden, in der Hoffnung, sein Leben noch retten zu können. Ich hoffe doch, du verstehst meine Prioritäten. Du hingegen scheinst wenig zu tun, außer als Königin zu amtieren , wie du es nennst.«
»Bist du hier, um mir Faulheit vorzuwerfen?«, fragte Arista.
»Warst du denn faul? Das bezweifle ich. Ich vermute, du hast in den letzten Tagen, wenn nicht gar Wochen, viel getan.«
»Willst du andeuten, ich hätte meinen Vater
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