Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)
dem Hof der Jadekrähen aufgehalten hatte, war bereitwillig eingesprungen.
»Ich bewundere deinen Elan, aber ich bezweifle, dass die wegen dir hier sind.«
Jigten runzelte die Stirn, schaltete aber herunter. Mit einem Zischen der Luftdruckbremse blieb der Laster stehen. Als Shan die Tür öffnete, um sich dem Verfolger zu stellen, fühlte sein Kopf sich wieder an, als würde er brennen.
Doch es war keines von Liangs Teams. Eine einzelne Gestalt in zerknitterter Uniform stieg aus dem Wagen.
»Leutnant Meng, wir haben Ihren Zuständigkeitsbereich schon vor Meilen verlassen«, sagte Shan.
»Wenn ich mich recht entsinne, besagen Ihre Papiere, dass Sie den Bezirk gar nicht verlassen dürfen«, erwiderte sie.
»Sie wissen doch, dass ich zu Gesetzesübertretungen neige. Aber was ist Ihre Ausrede?«
In ihrem Blick flammte so etwas wie Trotz auf. »In meinem Gebiet wurden drei Menschen ermordet. Einer der Leute, die zu Liang abgestellt wurden, hat bestätigt, dass das am Tatort gefundene Projektil einfach nur auf seinem Schreibtisch liegt. Sie hatten recht. Er hat es nie ins Labor geschickt. Und gestern wurden alle tibetischen Dienststellen darüber informiert, dass in Lhasa eine offizielle deutsche Delegation erwartet wird, die den Leichnam eines abgestürzten Bergsteigers abholen will. Die haben Rutger genommen und fünfhundert Kilometer von hier in einen Abgrund geworfen. Der Einzige, der etwas unternimmt, um diese Morde aufzuklären, sind Sie.«
»Das sind riskante Worte, Leutnant. Vor allem für jemanden, der schon mal im Dienstgrad zurückgestuft wurde. Kehren Sie um. Sie sind immerhin noch Leutnant. Der Sold eines Sergeanten reicht kaum zum Leben.«
Meng zuckte die Achseln. »Weniger Papierkram. Mehr Zeit im Außendienst. Ich bin gern an der frischen Luft.«
»Sie sind schon zu lange in Tibet. Ich nehme einen bedrohlichen Einfluss wahr.«
»Was haben Sie vor?«
»Wie Sie schon sagten, ich bin der Einzige, der herausfinden will, warum Jamyang und die anderen gestorben sind.« Er musterte Meng. Sie mochte müde wirken, aber sie war auch entschlossen. »Kehren Sie um«, wiederholte er. »Und tun Sie, was immer nötig ist, um Major Liang loszuwerden.«
»Die Schnellstraße ist ab Mittag für zwölf Stunden gesperrt. Wegen umfangreicher Gefangenentransporte. Es wird überall Kontrollpunkte und Wachen geben. Sie werden es niemals ohne Begleitung schaffen.«
»Ich mache mir Sorgen um Sie, Leutnant. Sie stehen gefährlich dicht davor, einen antisozialistischen Akt zu begehen.«
Meng lehnte sich gegen ihren Wagen. Ihr Blick richtete sich auf den fernen Horizont. »Ich muss Ihnen etwas gestehen. Nachdem Sie dem Großen Steuermann das Gesicht eingeschlagen hatten, wurde mir befohlen, dafür zu sorgen, dass die Statue mit einem Leinentuch verhüllt wird. Aber letzte Nacht bin ich hingegangen und habe die Schnur durchgeschnitten, mit der das Tuch festgezurrt war. Der Wind hat es fortgeweht. Und ich bin nicht mal weggegangen. Ich habe auf einer Bank gesessen und ihn angestarrt. Ich musste an eine Geschichte denken, die ich mal gehört hatte, über einen Kaiser ohne Kleider. Niemand hat sich getraut, ihn nackt zu nennen. Gestern kam ein Hund angelaufen und hat an den Sockel der Statue gepinkelt. Ich musste laut lachen.«
Shan sah sie an. Er begriff nicht, weshalb ihre Worte so viele Gefühle in ihm freisetzten.
»Ich habe nachgeprüft, was Liang über diesen Mönch in Rutog behauptet hat«, sagte sie. »Es wurde von dort keine Selbstverbrennung gemeldet. Er hat uns belogen, wie Sie vermutet haben. Und er hat angefangen, mich nach diesem toten Lama Jamyang zu fragen. Ob ich seinen Leichnam finden könnte, wo er gelebt hat, wer seine Freunde gewesen sind.« Der Wind löste eine ihrer Haarsträhnen. Meng strich sie sich nicht aus dem Gesicht. »Wer war er, Shan? Wer war dieser Lama?«
»Das weiß ich nicht. Ich folge seinem Geist nach Chamdo.«
Sie entgegnete nichts.
»Was genau sollen wir Ihrer Ansicht nach tun?«, fragte er.
»Ich werde mich vor den Lastwagen setzen und Sie nach Chamdo begleiten. Und dort finden wir seinen Geist gemeinsam.«
* * *
Die Reise nach Nordosten verlief für Shans Geschmack viel zu langsam, doch als sie nach einer Stunde auf die erste Straßensperre trafen, wurde ihm klar, dass sie es ohne Meng nie geschafft hätten. Mit einer Offizierin der Kriecher als Begleitung durften sie im Schritttempo mehrere Kolonnen schwerbewachter Transporter überholen. Am Nachmittag mussten sie abermals
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