Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)
Ihnen, bis die Krise des Tals vorbei ist.« Er warf Shan einen durchdringenden Blick zu. »Und nur Sie, mein Freund, können dafür sorgen.« Er streckte seine offene Hand nach unten zum Boden aus. »Ich sage dies mit dem Berg als meinem Zeugen.« Der Professor hatte offenbar einige der tibetischen Bräuche gelernt.
Shan fehlten die Worte. »Ich bin bloß der Grabeninspektor«, sagte er schließlich. »Und zwar ein sehr schlechter, denn ich habe meine Pflichten viele Tage vernachlässigt.«
»Sie sorgen dafür, dass sauberes Wasser fließt. Sauberes Wasser erhält uns am Leben.«
»Ich bin derjenige, den man verhaftet, verprügelt und foltert. Sie dürfen mir das Abzeichen nicht anvertrauen. Liang würde es schon aus reiner Gehässigkeit verbrennen. Sie glauben, Sie könnten durch dieses Tor schreiten, aber ich kann es nicht.«
»Sie müssen etwas begreifen«, sagte Yuan im Tonfall eines alten Lama. »Das Abzeichen ist nicht wertvoll, weil es so alt ist. Es ist wertvoll wegen all der Risiken, die für es und mit ihm in Kauf genommen wurden, und das schon seit so vielen Jahren. Es gibt immer noch Zensoren, die die Behörden in Schach halten. Wir brauchen sie nötiger denn je. Ich glaube, mein Freund, Sie sind an dem Tag durch das Tor gegangen, an dem Jamyang gestorben ist.« Er wies auf das Abzeichen. »Es gibt so wenig, das ich tun kann. Lassen Sie mich zumindest das hier tun. Einer meiner Großonkel hat es im letzten Krieg bei sich getragen. Er hat gesagt, es habe ihn unverwundbar gemacht.«
»Sie überschätzen mich, Yuan. Ich begreife nicht einmal, wer Jamyang war.«
Der Professor gab ihm ein Blatt Papier. »Das hat Sansan herausgefunden. Wegen des Symbols auf Jamyangs Zettel. Ein Hammer und ein chorten .«
Es schien sich um den Ausdruck einer Internetseite zu handeln, mit dem Hammer und dem chorten groß am oberen Rand. Shan blickte verwirrt auf. »Das chinesisch-tibetische Friedensinstitut?«
»In Chamdo. Auf dem Gelände eines alten Klosters.«
Shan zuckte die Achseln. »Er hat versucht, Brücken zwischen den Menschen zu bauen. Das Büro für Religiöse Angelegenheiten unterhält viele solcher Einrichtungen.«
»Sie irren sich. Sansan hat etwas gründlicher nachgeforscht.Es besteht keine Verbindung zum Büro für Religiöse Angelegenheiten. Das Institut gehört zur Öffentlichen Sicherheit.«
***
Als Shan beim Stall eintraf, warteten dort bereits Lung Tso und Jigten mit seinem Wagen.
»Das letzte Datum auf der Liste, die Jamyang deinem Bruder gegeben hat, ist die Nacht des nächsten Vollmonds«, sagte Shan.
»Na und?«
»Kennst du einen jungen Mönch namens Dakpo?«, fragte Shan. »Er ist vor drei Tagen aus Chegar gompa weggelaufen, muss aber spätestens an Vollmond zurück sein, weil dann euer Lastwagen eine Ladung nach Indien bringt. Ich möchte wetten, er zählt zu denjenigen, mit denen ihr in Chegar Geschäfte macht. Wohin habt ihr ihn gebracht?«
»Ai yi!«, murmelte Lung. »Du gibst wohl nie Ruhe.«
»Nicht, solange der Mörder noch auf freiem Fuß ist, nein.«
»Verdammt, Shan. Meine Welt beruht auf Geheimnissen.«
»Genau wie die des Mörders. Wo ist Dakpo?«
Lung schaute zu Jigten, der beim Wagen stand. »Also gut«, sagte er barsch. »In Chamdo. Er wusste, dass wir zweimal pro Woche dorthin fahren, zu den Lagerhäusern, wo die Lieferungen aus dem Osten eintreffen. Er wollte unbedingt mit, hat sogar angeboten, notfalls beim Beladen zu helfen. Er hat sich Arbeiterkleidung geliehen und ist auf der Ladefläche mitgefahren.«
Irgendwie hatte Shan es gewusst. Er drückte Yuan Yis Abzeichen, das wieder zwischen den beiden Handtüchern eingenäht war und unter seinem Hemd steckte. »Dann muss ich auch so schnell wie möglich dorthin. Wann fahrt ihr das nächste Mal nach Chamdo?«
KAPITEL VIERZEHN
Nach dreißig Kilometern schnippte Jigten seine Zigarette aus dem Fenster und fluchte. »Die verfolgen uns. Wenn ich langsamer werde, werden die langsamer. Wenn ich schneller werde, werden die schneller.«
Shan beugte sich vor, um in den Außenspiegel zu blicken, und erschrak. Die Straße war leer, abgesehen von einem grauen Geländewagen der Öffentlichen Sicherheit, der dicht hinter ihnen fuhr. »Fahr rechts ran«, sagte er zu Jigten.
»Den Teufel werde ich tun. Wir fahren nach Chamdo«, widersprach der Hirte ungewohnt heftig. Eigentlich war Dschingis für die lange Fahrt eingeplant gewesen, aber der hatte in letzter Minute schreckliche Bauchschmerzen bekommen. Jigten, der sich ohnehin auf
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