Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)
Weg und folgte der Seitenstraße, die entlang der westlichen Mauer des Geländes verlief und auf deren anderer Seite gepflegte Reihenhäuser standen. Am Ende des ersten Blocks überquerte Shan die Straße und ging langsam vor den Häusern her. Ihre Türen und Fenster waren alle auf die gleiche Weise verriegelt. Es führte kein Weg durch sie hindurch oder um sie herum. Sie waren lediglich eine Art Pufferzone, so wie der Graben rund um eine Festung.
Shan blickte die Straße hinunter und entdeckte zwei Männer in fleckenlosen Overalls, die sich an beiden Enden des Blocks auf ihre Besen stützten. Dann ging er zur nächstbesten Tür. Sie war verriegelt. Das Fenster daneben war mit Vorhängen versehen, doch es gab einen schmalen Spalt in der Mitte. Das Haus war leer. Wenn Shan sein Gesicht an die Scheibedrückte, konnte er durch eines der rückwärtigen Fenster sehen. Hinter dem Haus gab es eine weitere Mauer, ungefähr zweieinhalb Meter hoch und von der Straße aus nicht zu erkennen. Auf ihrer Krone war Stacheldraht gespannt.
Shan eilte weiter und bog um die nächste Ecke auf eine etwas belebtere Straße ein, die sich hinter dem Gelände erstreckte. Dort setzte er sich unter einem Baum auf eine Parkbank und nahm die Häuser an diesem Ende des Blocks in Augenschein. Auch sie wirkten unbewohnt und schienen als äußere Barrieren zu dienen, doch in der Mitte des Blocks gab es irgendein Geschäft und gegenüber ein kleines Polizeirevier. In dem Laden gingen Mönche ein und aus. Shan hielt unter ihnen nach Dakpo Ausschau und drückte dabei unbewusst die Hand gegen die Brust, wo das Abzeichen von Yuan Yi, dem Mandarin-Banditen, versteckt war.
»Das Gelände nimmt zwei Blocks ein«, sagte eine Stimme über seiner Schulter. Meng behielt dabei das ehemalige Kloster im Blick. »Auf der anderen Seite gibt es nichts als alte Läden und Büros, alle geschlossen und mit Schildern versehen, auf denen steht, sie würden bald einem Sanierungsprojekt weichen. Doch das Papier ist vergilbt und vertrocknet, als würde es da schon seit Jahren hängen.«
»Das Haupttor ist der einzige Eingang«, stellte Shan fest. »Alles andere ist verriegelt, abgesehen von diesem einen Geschäft dort.«
Bevor er sich auch nur erheben konnte, überquerte Meng schon die Straße.
In dem Laden gab es religiöse Literatur und Berichte über den sozialistischen Kampf zu kaufen. An der Wand hing ein Poster mit Maos Kalligraphie, vor dem kleine Buddhas mit der Flagge der Volksrepublik standen. Shan und Meng schlenderten umher wie ein Touristenpaar und kauften eine Packung der billigen Gebetsschals, die von Pilgern bei Schreinenzurückgelassen wurden. Im hinteren Teil des Geschäfts gab es einen Raum, den ein Schild als Bibliothek auswies. Darin stand eine kleine Vitrine mit mehreren Artefakten aus dem ursprünglichen Kloster. Zwei größere Schaukästen waren der chinesischen Jugendbrigade gewidmet, die es fünfzig Jahre zuvor eingenommen hatte. Eine Tafel besagte, dank ihrer patriotischen Anstrengungen hätten zweihundert Mönche befreit werden können. So lautete gemeinhin die erbauliche Erklärung der Propagandisten. Zumeist hieß das, dass die Mönche von ihrer weltlichen Existenz befreit worden waren.
Am Kopfende eines schmalen Korridors, der mit »Privatarchiv« bezeichnet war, saß eine steife Matrone an einem Schreibtisch und drückte auf den Knöpfen eines der elektronischen Mah-Jongg-Spiele herum, die in China weite Verbreitung gefunden hatten. Während der zehn Minuten, die Shan und Meng zusahen, wurde ein halbes Dutzend Männer und Frauen durchgelassen, nachdem sie der Wächterin Ausweise in schwarzen Lederhüllen gezeigt hatten. Es waren alles Chinesen mit kühlen, arroganten Gesichtern.
Meng griff in die Tasche und hatte schon zwei Schritte auf den Tisch zu gemacht, als Shan ihre Hand packte. »Unser Bus!«, tadelte er sie und zog sie aus dem Raum.
»Sie Narr!«, schimpfte Meng, als sie die Straße erreichten. »Ich hätte da hereingekonnt. Das waren Dienstausweise der Öffentlichen Sicherheit. Irgendwo am Ende dieses Korridors gibt es eine Akte, auf der Jamyangs Name steht.«
»Das Spiel, das die Frau in der Hand hatte, war nur eine Ablenkung. Unter der Tischplatte gab es ein Fach mit einer Tastatur darin. Sie hat dort den Namen eines jeden der eintreffenden Offiziere eingegeben. Falls Sie diesen Flur hinuntergegangen wären, hätte Liang fünf Minuten später davon gewusst.«
Mengs Verärgerung verwandelte sich in Erleichterung. »Aiyi!«,
Weitere Kostenlose Bücher