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Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition)

Titel: Der tibetische Agent: Shan ermitteltRoman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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vergisst, dass ich schon bei meiner Verhaftung fast blind war.«
    »Die Silberglocke nach Chegar zurückzubringen hätte Norbueinen wohlwollenden Empfang verschafft, aber mit dir an seiner Seite war er ein Held.«
    »Sie haben es eine humanitäre Entlassung genannt«, sagte Patrul mit bitterem Lachen. Es lag Schmerz in seiner Stimme. Er hatte bereits erkannt, dass auch er eine Marionette gewesen war.
    »Und doch bist du hier«, erwiderte Shan. »Vielleicht hatte eine Gottheit ihre Hand im Spiel.«
    »Was auch immer geschieht, mein Chegar leidet.«
    »Das glaube ich nicht. Du bist sein Beschützer. Du bist schon immer sein Beschützer gewesen. Ganz egal, was passiert, Peking wird erst nach vielen Monaten einen neuen Abt schicken, womöglich nach mehr als einem Jahr.«
    »Ein gompa braucht einen Abt.«
    »Die Menschen hier haben einen, den besten, den sie sich wünschen könnten. In gewisser Weise ist er nie weg gewesen.«
    »Ich bin alt und blind.«
    »Du bist weise und scharfsinnig. Wenn Tibet eine Schattenregierung haben kann, dann Chegar doch sicherlich einen Schattenabt.«
    » Lha gyal lo .« Die Worte waren ein Flüstern aus der Dunkelheit.
    Shan nahm eine Butterlampe und ging in den Lagerraum hinter ihnen, dessen Tür offen stand. Dakpo saß auf einem Bett aus Stroh. Shan beugte sich über ihn, fühlte seine Stirn und dann seinen Puls.
    »Es geht mir schon wieder ganz gut, Shan«, versicherte der Mönch tapfer. »Das Heilmittel, das du uns gegeben hast, ist ein paar gebrochene Rippen wert. Aber ich mache mir Sorgen. Trinle war letzte Nacht hier und hat erzählt, dass Norbu die Mönche aufgerüttelt und über ihre Pflicht gegenüber dem Dalai Lama gesprochen hat. Ich kann ihn nicht zur Rede stellen. Ich bin mir nicht sicher, dass man mir glauben würde.Und bald ist Vollmond. Die Tentakel werden nach Dharamsala greifen. Ich kann nicht …« Die Stimme des Mönches erstarb.
    »Ich verstehe, Dakpo. Es ist fast vorbei. Du musst dich weiter wie sein Schüler verhalten, damit er keinen Verdacht schöpft. Es hat sich nichts geändert.«
    »Es hat sich alles geändert.«
    Shan grinste. »Genau.«
    Plötzlich wurde die Stille der Morgendämmerung durch eine Glocke gestört. Es war kein Ruf zum Gebet. Von den Schatten des Eingangs aus sah Shan, dass Mönche den Innenhof des gompa betraten und zu den Fahrrädern eilten, die vor einer der Wände standen. Er verabschiedete sich hastig von Patrul und Dakpo und verließ die Scheune durch den Hinterausgang.
    Wenige Minuten später stand er auf der Ladefläche seines Pick-ups und beobachtete die Mönche durch sein Fernglas. Sie bildeten auf der flachen Straße eine dünne kastanienbraune Linie, einen Pfeil, der hinein ins Tal gerichtet war. Shan folgte der imaginären Flugbahn des Pfeils und versuchte das Ziel vorauszuahnen. Es konnten die Klosterruinen sein. Es konnte Baiyun sein. Es konnte irgendein Pilgerpfad sein, der gereinigt werden sollte.
    Als Shan mit seinem Wagen wieder auf die Hauptstraße einbog, sah er, dass auch andere Leute ins Zentrum des Tals unterwegs waren. Die Gestalten auf Fahrrädern, Traktoren und Eseln steuerten weder die Ruinen noch die Stadt an, sondern eine Kreuzung, an der ein unbefestigter Weg von der Hauptstraße aus zu einigen Bauernhöfen in den Hügeln führte. Shan beschleunigte und überholte bald darauf die Mönche. Er erkannte mehrere Gesichter wieder, darunter auch das von Norbu in der Nähe der Spitze.
    Als Shan an der Kreuzung eintraf, hatte sich dort bereits eine kleine Menge versammelt. Die Leute standen vor einemneu errichteten Schild mit Entfernungsangaben. Erschrocken sah er, dass es nur auf Chinesisch beschriftet war. Ein Bauer stand auf dem Sitz seines Traktors und hielt den Tibetern eine flammende Rede darüber, dass er nicht an einer chinesischen, sondern an einer tibetischen Straße wohnte.
    »Nur weil man einen Leoparden als Maultier bezeichnet, ist er längst noch keines!«, rief ein Mann mit einer Sense.
    Es trafen weitere Fahrzeuge ein, zumeist Fahrräder und Traktoren, manche mit Anhängern, auf denen ganze Familien saßen. Ein Lastwagen näherte sich und hupte, weil die Straße blockiert war. Ein alter Traktor mit einem Karren voller Ziegen und mehrere Bauern kamen hinzu. Shan öffnete die Wagentür und war sich der wütenden Blicke nur zu bewusst.
    Die ersten Mönche, die eintrafen, waren jüngeren Alters. Sie fingen sofort an, die Wut der Tibeter zu schüren, und riefen, niemand dürfe vergessen, was es bedeute, Tibeter

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